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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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zu verpflanzen. Phil und ich würden nebeneinander aufwachen, ganz oft miteinander schlafen, wir würden uns lieben, immer über alles reden und Matilde zum Lachen bringen...
    Er drehte sich um, bemerkte mich aber nicht, obwohl uns nur fünf Meter trennten. Plötzlich lachte er auf und ging ein
paar Schritte hin und her. Dann blieb er stehen, um knapp vor seinen Schuhen auf den Boden zu starren, die Hände in den Hosentaschen. Schon einmal hatte er so gestanden, ich versuchte mich zu erinnern, wo das gewesen war. Matilde schaukelte meine Hand vor und zurück, Bandito klemmte wie immer unter ihrem Arm. In der anderen Hand hielt sie einen Keks, den letzten, den ich in meiner Handtasche gefunden hatte, und summte eine Melodie, die aus drei verschiedenen Tönen bestand. Und nun fiel es mir wieder ein: Salina. Am ersten Tag, kaum auf der Insel angekommen, hatte er genauso weit von mir entfernt Löcher in die Luft gestarrt. Er entdeckte uns.
    Ich wartete. Männerverraten am ehesten, was ihnen durch den Kopf geht, wenn sie nicht ausgefragt werden, hatte Susa mal behauptet. Hoffentlich traf das auch auf ihn zu.
    Matildes warme Hand glitt aus meiner, sie setzte sich mit ihrem Bären auf die Steinkante eines Grabes, wo sie sich den Keks teilten. Bei Teresa hätte sie das sicher nicht gedurft - gerade deshalb ließ ich sie sitzen. Phil stürmte mit großen Schritten davon. Meine Lippen waren verschlossen, meine Beine wie einzementiert. Ich sah mich dort wie eine Skulptur auf dem Weg stehen, ein kleines Schild davor: »Frau auf Friedhof, abwartend.«
    Da kam er auch schon zurück, stürzte auf mich zu und umklammerte mich so fest, dass ich kaum mehr Luft bekam. Warm spürte ich seinen Atem an meinem Hals, als er sagte: »Brigida ist schwanger.«
    »Brigida ist schwanger«, wiederholte ich, wie in einer der Übungen auf meinen alten französischen Sprachkassetten. Monique ist schwanger, Giselle ist schwanger, Brigida ist schwanger. Dann erst, mit sekundenlanger Verspätung
brach der Sinn der Worte über mich herein. Ich sah Brigida am Flughafen stehen, mit einem über Nacht gewachsenen Babybauch und dem Gesichtsausdruck einer satten Katze.
    O Dio, was für ein berechnendes Biest, dachte ich, damit hat sie ihn, damit hat sie ihn ganz und gar. Ein süßes Baby mit blauen Phil-Augen. Eins, zwei, drei, ganz viele Kinder wird sie von ihm bekommen! Ich schaute von unten auf seinen Mund und vermied seine Augen, um keine Tränen der Ergriffenheit darin entdecken zu müssen. Phil ließ mich los.
    »Tja, was soll ich sagen.« Er lachte kurz, wie über einen mäßigen Witz, und zog die Luft scharf durch die Nase ein. Er freute sich gar nicht, irgendetwas stimmte nicht.
    »Lass uns gehen«, sagte er leise und blieb unverändert stehen.
    Ich sah Matilde auf dünnen Beinen mit Bandito zwischen den Grabsteinen davonhopsen und spürte eine vertraute Zärtlichkeit in mir aufsteigen. So stark und fast schon schmerzhaft, wie am ersten Tag, als ich sie im Krankenhaus in den Armen hielt, winzigklein, gerade mal 47 Zentimeter groß, und mich nicht rühren konnte. Damals hatte ich vor Ergriffenheit geweint. Matilde gehört zu dir - Phil nicht, dachte ich, fang jetzt bloß nicht an zu heulen, ich warne dich! Wir umarmten uns wortlos, er presste seinen Kopf an meinen Hals, und ich wurde ganz ruhig. War ich deswegen von Claudio nicht schwanger geworden? Hatte ich deswegen kein Kind von ihm bekommen, und war ich nach Leonardos Tod so lange alleine gewesen, nur weil ich mich in Phil verlieben sollte, um mit ihm hier in dieser Minute zu stehen, bevor wir uns endgültig trennten? Das Leben war unerträglich in seinen Zufällen, banal, ohne erkennbaren Sinn hinter dem ganzen Theater. Ich griff nach dem weichen Stoff
seines Mantels, zog ihn an mich, spürte ihn an der Stirn und unter meinen Händen. Noch war er bei mir. Diese Sekunden gehörten immer noch uns, bevor alles auseinanderbrach. Wir drückten unsere Wangen und Schläfen ganz fest aneinander, blieben bewegungslos, ganz still, ein letztes Mal. Nur unser Atem war zu hören. Und der Wind. Und ein Auto, das irgendwo außerhalb der Friedhofsmauer entlangfuhr.
    Etwas fehlte. Ihre Schritte fehlten. Das Summen und die kleinen, schnellen Schritte, das Schlenkern, das Fallenlassen, das Klickern der hervorstehenden Perlenaugen bei jedem Aufschlag, das Aufheben von Bandito.
    »Matilde?«, flüsterte ich, plötzlich heiser, erschreckt bis in die Knochen. Wir lösten unsere Gesichter, stoben auseinander, riefen und

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