Das Limonenhaus
Augenschein. Es stimmte, die Prinzen hatten alle einen unterschiedlichen Gesichtsausdruck, je nachdem, wie die eingestanzten Löcher der Keksoberfläche ihnen die Münder verzogen.
»Wir essen die Traurigen auf«, schlug ich vor.
Matilde strahlte und verteilte eine Runde traurige Schokoprinzen an uns alle.
Es dämmerte, als wir Bagheria erreichten. Schon von Weitem leuchtete die Villa Cattolica uns goldgelb entgegen, denn Scheinwerfer setzten ihre barocken Formen und die Palme, die hoch über die Gartenmauern ragte, in Szene.
Ein Nachmittag aus jenem längst vergangenen Sommer, als unser gemeinsames Leben schon fast zu Ende war, fiel mir ein. Leonardo, Grazia, Claudio und ich. Zu viert waren wir in die Ausstellung von Guttuso, dem berühmten Sohn Bagherias, gegangen. Nachdem wir seine Gemälde in den lichten, weitläufigen Räumen der Villa gesehen hatten, besuchten wir das bläulich schimmernde Marmorstück, das hinter der Villa liegt und in dem sein Leichnam bestattet ist. Leonardo versprühte gute Laune, er war überall, machte Fotos von uns und schwärmte von den eben gesehenen Bildern. »Da malt der Herr Guttuso ein Leben lang fantastische Bilder...« Leonardo hatte Grazia in den Arm genommen. »Wie, dir gefallen sie nicht?... Zu bunt? Ich fand
sie super, die meisten jedenfalls, und am Ende liegt er dann tot in diesem Stein. Wer ist denn auf so eine irre Idee gekommen?« Er lachte, drückte Grazia an sich und küsste sie mehrmals auf die Schläfe, während sie uns mit leiser Stimme erklärte, dass Herr Guttuso sein Grabmal aus blauem, spanischem Marmor exakt so geplant hätte. Blau, wie die Farbe des Meeres.
»Mich erinnert das Teil jedenfalls an eine Riesenseife.« Leonardo hatte grinsend darauf bestanden.
Mein Pulsschlag verlangsamte sich. Wir quälten uns inmitten der anderen Autos Stoßstange an Stoßstange dicht an den Mauern der Villa vorbei. Danilo, du bist tot!, hatte jemand darauf gesprüht.
Ich schaute auf die Uhr. Noch eine halbe Stunde, bis ich Claudio in der Notarskanzlei treffen konnte, noch eine halbe Stunde, und ich würde Leonardos eigenwillige Unterschrift auf dem Papier vor mir sehen. Bis zur Bahnschranke am Ende des Corso Butera kaute ich auf meinem Handrücken herum, eine hässliche Angewohnheit, aber um Phil zu gefallen, würde ich sie mir nicht mehr abgewöhnen müssen. Die Schranke war geschlossen. Ich wies Phil an, sich durch das rasch anwachsende Autoknäuel zu hupen und weiter geradeaus zu fahren. Wir schlugen einen großen Bogen um Bagheria herum, vorbei an der dubiosen Strahlenklinik, in der die Mafia angeblich ihr Geld wusch, und weiter, bis rechts und links von der Straße die Zitronengärten auftauchten. Hier war noch zu ahnen, wie Bagheria früher einmal ausgesehen haben mochte. Heute Morgen hätte ich Phil vielleicht etwas über die palermitanischen Fürsten und deren Sommervillen erzählt, die sie sich im 19. Jahrhundert
aus gelbem Tuffstein bauen ließen. Ich hätte ihm die glattwandigen Steinbrüche rechts und links der Straße gezeigt, die nach dem Abbau der Steine zurückgeblieben waren. Rechtecke in drei Meter Tiefe, groß wie mehrere Fußballfelder nebeneinander, gefüllt mit dem Grün der Zitronenbäume, die man dort unten angepflanzt hatte. Am Tage konnte man noch die eine oder andere Mauer sehen, die die ausgedehnten Gärten der Fürsten damals einfassten. Hölzerne Kisten, in denen die geernteten Zitronen gesammelt werden, stapelten sich davor. Doch jetzt war mir nicht danach, er war mit seinen Gedanken eh weit weg bei Brigida und dem Kind in ihrem Bauch.
Ich riss meine Augen weit auf. Vielleicht verdunsteten die Tränen ja irgendwie. Mit einer Handbewegung leitete ich Phil nach links, wir fuhren durch Santa Flavia, und ehe ich es recht bedachte, waren wir in Porticello hinter dem Sportplatz angekommen und standen auf dem leeren Platz, von dem aus man das einzeln stehende Limonenhaus gut sehen konnte. Schwarz hob es sich gegen den langsam verlöschenden Himmel ab, ein aufrecht hingestellter Schuhkarton, mit leicht abgeschrägtem Dach und einer Antenne, die schief in das Dunkel der Wolken ragte.
»Warum hältst du?«, fragte ich Phil.
»Ich dachte, du hättest gesagt, ich solle halten.«
»Nein.«
Er sah mich von der Seite an, als ob er widersprechen wollte, fuhr aber an. In Bagheria ließ ich ihn in der schmalen Via Cavour vor der Kanzlei stoppen. Er rieb sich mit der Handfläche ein paar Mal über die Stirn. »Lella, ich weiß gar nichts mehr.«
»Es
Weitere Kostenlose Bücher