Das Limonenhaus
Dunkelheit kaum zu erkennen, doch der Platz vor der Felswand, von dem aus die Bombe damals gezündet worden war, war angestrahlt: ein weißer Betonklotz, auf den jemand »Mafia NO!« gesprüht hatte. Ich schaute im Vorbeifahren lange zu dem leuchtenden Viereck hoch und wäre fast erneut in die Leitplanke gekracht.
Meine Gedanken kehrten zu ibr zurück. Lella! Auf Salina hatte ich ihr meine Geschichte erzählt. Es kam mir vor, als wäre es erst wenige Stunden her. Ohne Ironie und zierendes Beiwerk, die schlichte Wahrheit hatte ich bei ihr in Verwahrung geben können. Sie hörte zu, nahm alles auf wie ein gut zu hütendes Geheimnis und fällte kein vorschnelles Urteil. Als kostbarer Gegenwert lag auch Lellas Traurigkeit in meinen Erinnerungen.
Doch nun sollte ich Lellas Innerstes lieber schnell vergessen. Ich wurde Vater, folglich musste ich mich jetzt um anderes kümmern. Sollte ich Brigida vorschlagen, mit mir zusammenzuziehen? Würde sie mich irgendwann rausschmeißen, mich das Kind je nach Tageslaune sehen oder nicht sehen lassen? »Wie hast du dir das gedacht, Brigida?«, würde ich sie fragen, »dein Kind, unser Kind, mein Kind?« Vage Aussagen wollte ich auf keinen Fall akzeptieren, es war an der Zeit, den wahren Phil vor Brigida auftreten zu lassen! Der Abflugterminal des Flughafens war von tausend Lampen erleuchtet und hob sich wie ein gläserner Lichtkasten vor den pechschwarzen Felsen und dem dunklen Himmel ab. Von einem Streik war hier draußen noch nichts zu bemerken, alles sah recht normal aus. Ich parkte den Wagen bei der Autovermietung und stieg aus.
Wir landeten pünktlich. Doch der Zug vom Flughafen Köln-Bonn nach Düsseldorf ging erst in einer halben Stunde, um 23.05 Uhr. In mir zitterte es vor Ungeduld, ich wollte Lella anrufen und traute mich doch nicht. Was konnte ich ihr denn schon sagen? Jedes Wort von ihr wäre eine Wunde, die wieder zu bluten anfing, sobald man sie berührte. Ich schaute zu dem dunklen Glasdach über den Gleisen hoch und beschloss, nicht anzurufen. Es würde mir schon reichen, wenn ich sie nur atmen hören könnte, dachte ich im nächsten Moment, ein letztes Mal, auch wenn es wehtun würde. Schon wählte ich die Nummer, die unter jenem Decknamen gespeichert war, unter dem sie in meinem Telefonbuch stand: Leonardo Palermo. Sollte Brigida diese Nummer je bei mir entdecken, wäre sie die eines Kollegen, den ich in Palermo getroffen hatte. Ich stellte mir Lellas Stimme, ihre Haare,
ihren blassen schönen Mund am Handy vor und kickte bei jedem Klingeln mit dem Fuß gegen meinen Koffer.
»Pronto?« Sie war es!
»Hallo?«, quiekte es aus mir heraus. Schweigen auf der anderen Seite. Wieso sprach sie nicht? Ich musste mich räuspern und begann noch einmal: »Entschuldige, es ist viel zu spät.« Es klang nur wenig besser. »Hier ist Phil!«
»Phil.«
Diese Kraftlosigkeit in ihrer Stimme! Ich machte gerade alles nur noch schlimmer für sie, was war ich doch für ein Idiot! »Wie geht es euch? Wo seid ihr gerade?«, rief ich. »Mátti schläft sicher schon, oder?« Ich hörte sie mehrfach einatmen. Oder war das ein trockenes Schluchzen?
»Sie ist weg!« Raue Laute, wie von einem verwundeten Tier. In dürftigen Worten erzählte sie mir, dass Matilde entführt worden war.
»Was?«, fragte ich zwischendurch, »wie! Wo stand Matilde, und wo warst du?« Ich begriff das alles nicht. »Direkt vor der Tür? Da, wo ich euch abgesetzt habe?« Weil mir nichts anderes einfiel, lief ich auf dem Bahnsteig hin und her, den freien Arm in die Seite gestützt, und rief eins ums andere Mal: »Diese drei Schweine!« Es klang ungefähr so machtlos, wie ich mich fühlte. »Lella, warum hast du mich nicht gleich angerufen?«, murmelte ich.
»Du bist ja wohl gerade mit anderen Dingen beschäftigt...«
»Ja.« Ich musste mich erneut räuspern. »Hat sie wenigstens El Bandito dabei?«
»Ja, hat sie.« Nach einer Pause fragte sie: »Phil?« Sie war so weit weg!
»Ja?«
»Vielleicht gibt es keine andere Möglichkeit, vielleicht muss ich Claudio heiraten.«
»Was? Wieso das denn?«
»Weil Claudio der Einzige ist, der mir helfen kann. Ich muss ihn eventuell heiraten, um Matilde zu bekommen.«
»Heiraten nur so oder heiraten mit allem?« Niemals konnte ich zulassen, dass sie diesen Depp heiratete. Er war ein Depp, er musste einer sein.
»Was soll ich denn sonst tun?! So wie es aussieht, habe ich hier keine Chance als unverheiratete Frau«, rief sie am anderen Ende der Leitung.
»Und wenn du
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