Das Limonenhaus
niemanden, der mir das Licht neu einrichtet. Das Licht müssen wir unbedingt ändern, und Bruno ist ausgerechnet jetzt nicht da.«
»Aha, dazu brauchst du mich.«
Ohne zu antworten, zündete sie sich die Zigarette an.
»Du solltest keinen Wodka trinken und auch nicht ausgerechnet jetzt mit dem Rauchen anfangen.«
Sie blies den Rauch spielerisch in die Luft: »Und du solltest nicht anfangen, langweilig zu werden.«
»Aber du bist schwanger!«
»Ach, Phil, nur kein’ Stress, entspann dich mal!«
Ich steckte meine Hände in die Taschen meines Mantels, ertastete etwas Rundes und zog es hervor. Der Schokoprinz lag in meiner Hand und schaute mich mit trauriger Miene an. Ich musste an das große und das kleine Mädchen denken, die ich vor wenigen Stunden vor einer Notarskanzlei zurückgelassen hatte. Diese elenden Schweine hatten Matilde mitleidslos aus Lellas Händen gerissen. In mir wuchs wieder dieser unbändige Drang, sie alle drei nacheinander zusammenzuschlagen.
»Sorry, wenn die Entspannung etwas auf sich warten lässt, aber ich war noch nie in so einer außergewöhnlichen Situation.«
»O mein Gott, Phil!« Sie warf den Kopf nach hinten und riss lachend den Mund auf: »Ich auch nicht, und ich
werde mich auch in Zukunft nie in so einer Situation befinden«
»Heißt das, du bist nicht schwanger?«
Sie klappte ihren Kiefer samt Lachen zusammen und mimte jetzt die Verspielte: »Nein.«
Sofort war mir klar, dass sie diesmal die Wahrheit sagte. Es war an ihrem Ton zu erkennen, an ihrem Blick und der Weise, wie sie auf die Zigarette in ihrem Mund hinunterlächelte.
»Brigida.« Ich bemühte mich um einen lockeren Ton. Es durfte keinen Zweifel geben, ich musste zu hundert Prozent sicher sein. Ein letztes Mal wurde ich zum einzigartigen Phil, der sein derbstes Grinsen zur Schau stellte: »Amore, gib es zu und bekenne, dass du deine Figur nicht ruinierst, dass du uns kein Babygeschrei und keine Windeln bescherst.«
Sie kicherte: »Nein, keine Sorge. Ich wollte bloß sehen, wie schnell du da bist.«
Ich lachte nicht zurück, sondern starrte mitten in ihr Gesicht. Ich spürte, wie die Reste meiner Verliebtheit und Bewunderung, meiner Hörigkeit, meiner eingebildeten Liebe zu Brigida in langen, sauberen Streifen von mir abfielen. »Da bin ich wirklich froh. Kein Mann sollte das Pech haben, eine Frau wie dich zu schwängern. Vom Glück der Kinder, denen du als Mutter erspart bleibst, möchte ich gar nicht reden.« Damit drehte ich mich um, griff im Flur nach meinem Gepäck und verließ die Wohnung.
Unten auf der Straße angekommen, durchsuchte ich meine Manteltaschen. Ich musste Lella anrufen! So schnell wie möglich. Doch die Taschen waren bis auf den krümeligen Schokoprinz leer, denn das Handy... So ein Mist! Meine
ewige Besorgnis um die Elektro-Strahlung hatte mich dazu gebracht, das Handy auf Brigidas Sessellehne zu legen, als ich den Wodka probierte. Und darum lag es nun dort und befand sich nicht in meiner Manteltasche. Verdammt, verdammt, verdammt!
Noch einmal bei Brigida klingeln? Bloß nicht! Aber etwas anderes blieb mir nicht übrig. Lellas Nummer war in diesem Handy eingespeichert. Unter Leonardo, Palermo. 0163, 0164? Nicht einmal ihre Vorwahl konnte ich auswendig. Ich merkte mir eben nichts, was irgendwo geschrieben stand. Ich ging zur Haustür und klingelte. Keine Reaktion. Noch einmal presste ich meinen Finger auf den Knopf neben dem Namen ›Vinci‹. Sie machte nicht auf. Ich klingelte Sturm, ich musste dieses Handy haben. Es war meine Verbindung zu Lella, Brigidas Meinung dazu interessierte mich nicht. Ich trat zurück und schaute die Hauswand hoch. Ihre Etage war erleuchtet. Da, ihre Silhouette. Jetzt öffnete sie eines der Fenster, und etwas Eckiges, Schwarzes flog durch die Luft. Mit einem hässlichen Laut zerschellte mein Handy auf dem Bürgersteig, Plastikteile schleuderten hoch und schnellten in den Rinnstein, unter geparkte Autos, ja sogar bis weit auf die Fahrbahn. Danke, Brigida, rief ich lautlos und bückte mich, um die Teile einzusammeln. Auch mit dieser Aktion würde sie es nicht schaffen, meine Zukunft zunichtezumachen. Ich brauchte nur die Karte, die kleine weiße Chipkarte. Morgen könnte ich mir ein neues Handy kaufen.
Aber die Karte war weg.
Ich suchte bestimmt eine Stunde lang, lieh mir im Kiosk an der Ecke eine Taschenlampe und setzte meine Suche fort. Die Karte blieb verschwunden. Sie musste in den Gully gefallen
sein, der sich als klaffende Lücke im Rinnstein auftat.
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