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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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fühlte, dachte ich: Nun ist es passiert.
    Es schüttelte mich, nichts hatte ich damals verstanden, un bel niente! Ich ging langsam aus dem Raum. Plötzlich fühlte ich mich schmuddeliger als ein wochenlang benutzter Spüllappen. Warum hatte ich mich in den vergangenen drei Jahren nicht um das Limonenhaus gekümmert? In meiner Trauer hatte ich vergessen, Leonardos Sachen zu retten, oder waren alle Möbel und seine persönlichen Dinge womöglich irgendwo eingelagert worden? Doch hätte Grazia mir nicht davon erzählt?
    Ich seufzte, ich sollte endlich meine Pension aufsuchen, die nur einen kurzen Fußmarsch entfernt lag. Signora Pollini, die redseligste, netteste Wirtin der Welt, wartete sicher schon auf mich. Ich schloss die Türen zum Balkon. Es war immer noch hell im Raum, ich hatte die Fensterläden vergessen.
    Ich strich über die halbe Tischplatte. Hier - an diesem Tisch - hatte Leonardo mich an jenem furchtbaren Abend mit seinen Vorwürfen überhäuft, und ich war geflüchtet. Aber nicht zu Claudio, dessen »ti amo« schon lange hohl
klang, sondern zurück nach Köln. Im Flugzeug saß ich neben einer jungen Frau, Susanna Blumfeld, genannt Susa, die mir nach drei Sätzen sofort ein Taschentuch und ein Zimmer in ihrer Wohnung anbot. Das Taschentuch nahm ich an und auch ihre Freundschaft, das Zimmer nicht.
    Mein Vater schloss mich in die Arme, wortlos. Wir redeten nicht über das vergangene Jahr, erwähnten es nie. Ich stürzte mich in Arbeit, putzte das Restaurant vom Kühlhaus bis unter die Zapfanlage und begann wieder zu kochen. Wenn ich nicht arbeitete, schlief ich oder sah Kochshows im Fernsehen.
    Und wenn ich in dieser Zeit gelegentlich mit Leonardo telefonierte, rief ich ihn im La Sirena an, um nicht Matildes Baby-Gejauchze im Hintergrund hören zu müssen. Sobald ich aufgelegt hatte, verjagte ich jeden aufkommenden Gedanken an die drei im Limonenhaus. Ich zerriss Claudios Entschuldigungs-Verzeihung-wollen-wir-es-nicht-nocheinmal-versuchen-Briefe, die nach einigen Monaten eintrafen, und warf die Schnipsel ins Altpapier. Susa rief regelmäßig an und versuchte, mich zum Ausgehen zu überreden. Wenn sie zu sehr drängelte, ging ich mit ihr ins Kino oder passte auf Timmi auf, damit sie alleine losgehen konnte. Ich lernte, Timmi ins Bett zu bringen und dass Gutenachtgeschichten gut für Kinder sind. Ab und zu gab Susa mir ein Alibi, und ich flog nach Sizilien, um Matilde zu sehen. Mein Leben hatte sich durch das Jahr auf Sizilien kaum geändert: Ich stand wieder am Herd und wartete auf etwas, von dem ich nicht wusste, was es sein würde.
    Irgendwas in mir sträubte sich, das Haus zu verlassen. Ich stieg ein Stockwerk höher und betrat das Schlafzimmer. Der gleiche Grundriss wie unten, nur der Balkon und das
angeklebte Malzimmer fehlten. Auf dem Boden mischten sich Staubflusen und Mörtelbrocken mit einer Handvoll toter Fliegen. Alles war leer, nackt und schäbig. Ich ging zum Fenster und suchte nach Spuren von Matildes Wiege. Es gab keine Spuren. Dort an der Wand hatte das riesige Bett aus braunem Metall mit seinen drei übereinandergelegten Matratzen gestanden, so wie Zia Pina es meiner Mutter hinterlassen, so wie Leonardo es übernommen hatte. Die Matratzen hatte er gegen neue ausgetauscht, doch es mussten auch wieder drei sein.
    »Es kam mir vor, als würde ich dem Bett mit einer einzigen dünnen Schaumgummimatratze seine Erhabenheit nehmen!«
    Er hatte die dunklen Deckenbalken wie auch die Türen des Wandschranks weiß gestrichen. An die Wand, über das geschwungene Kopfteil des Bettes und die darin eingefassten Madonnenbilder, hatte er einen bunten Teppich aus der Karibik gehängt und mit wenigen Gegenständen die hell gestrichenen Holzkonsolen, die an den Wänden entlangliefen, geschmückt. Alles war verschwunden: das Windlicht aus durchbrochenem Ton, die hübschen Tessiner Kerzenständer und der Spiegel in seinem von Holzwürmern zerlöcherten Rahmen - ein weiteres Erbstück von Zia Pina.
    Ich ging in die Hocke und berührte die schmutzigen Fliesen, in der Hoffnung, etwas zu finden. Ein kleines Ding, einen Hinweis, etwas, was ich als Erinnerung mitnehmen könnte, und wenn es nur ein rosa Knopf von Matildes Babyjäckchen wäre. Wie ein Pilzsammler suchte ich den Boden ab, konnte aber nichts entdecken. Ich fühlte mich leer und ausgeweidet wie das Haus. Im Badezimmer roch es nach Algen und Schimmel, in der Sitzwanne hatte sich ein hellgrüner
Fleck zum Abflussrohr hin ausgebreitet, der Duschkopf war

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