Das Limonenhaus
Küche angebracht worden war. Zögernd klopfte ich schließlich gegen den Türrahmen.
»Entra, entra!«, rief meine Wirtin. Mit den Armen durchteilte ich die klickernden Schnüre und steckte den Kopf hindurch. Signora Pollini rührte in einem Topf am Herd, winkte mich näher und redete dabei gegen den laut dröhnenden Fernseher an:
»Buona sera! Buona sera! Die Signorina aus Deutschland. Ja, da schauen Sie, hier stehe ich wieder. Die haben mir eine künstliche Hüfte eingebaut, endlich kann ich mich wieder bewegen. Letztes Jahr, vor der Operation, ja das war schlimm! Wissen Sie noch, wie ich immer da draußen auf dem Stuhl gesessen habe und mich nicht rühren konnte? Aber jetzt: Den ganzen Weg bin ich gepilgert, nicht auf Knien, das ging ja dann doch nicht, aber auf meinen eigenen
Füßen, hoch zur Grotte der heiligen Rosalia, ja immerhin.«
Der Fernseher stand direkt neben dem Tisch. Signora Pollinis Ehemann, ein kleiner Mensch mit von der Sonne verbranntem Gesicht, grüßte kurz mit der Hand, löste dann den Blick aber nicht mehr vom Bildschirm. »Setzen Sie sich!« Ich gehorchte. Mit dem Finger fuhr ich das Blumenmuster der Wachstuchdecke nach.
»Und jetzt schickt der Berlusconi mir Briefe. Ich soll ihn wieder wählen, aber diesmal, nein, diesmal nicht! Das hat er sich so gedacht, ja, der Berlusconi.« Der rote Sekundenzeiger der Küchenuhr lief unbeirrt seine Runde; Signora Pollini würde noch stundenlang über Politik und Pilgerfahrten weiterreden. »Also!«, fuhr sie fort, während sie mir den Rücken zudrehte und die Ofenklappe aufriss. »Ist alles in Ordnung mit dem Zimmer?« Die Träger des mächtigen Büstenhalters und die Schürze schnürten ihren fleischigen Rücken zu hervorquellenden Rechtecken zusammen, wie bei einer Wurst im Metzgerladen.
Jetzt musste ich ihre Redepause nutzen. »Ja, alles bestens! Ich war gerade im Limonenhaus, Sie wissen schon, das direkt an der Mole steht, direkt am Meer. Kannten Sie meine Großtante, die Lehrerin Passarello?« Die Signora schob eine Auflaufform hin und her. Hatte sie mich nicht gehört?
»Warum ist meine Mutter eigentlich bei ihr aufgewachsen?«
Nun endlich schaute Signora Pollini auf: »Natürlich kannte ich Pina, die Lehrerin, und auch deine Mutter, sie war ja nur ein paar Jahre jünger als ich.«
Dio! Signora Pollini war rosig, stämmig und mit ihrer neuen Hüfte sehr rührig, ihre Augen blitzten angriffslustig aus ihrem
Hamsterbäckchen-Gesicht. Ich hatte sie mindestens fünf Jahre jünger geschätzt als Mamma Maria, dabei war sie älter.
»Die kleine Allegra Maria. Sie war ein so aufgewecktes Mädchen. Sie sprang und hüpfte immerzu, und schlau war sie... Und für die Pina das Ein und Alles! Mein Gott, das ist ja wirklich schon ein paar Jahre her.«
Meine Wirtin schaute forschend in mein Gesicht. Ich nickte auffordernd, sie sollte weitererzählen!
»Die Pina, die Pina, es war ein Jammer mit der Pina! Sie hatte kein Glück, sie war ja die Zweitgeborene, musste also warten, bis die Erste, Mirella, deine Großmutter, heiratete, da ging damals kein Weg dran vorbei. Die Mirella verlobte sich auch, doch bald darauf kam der Krieg, und er, wie hieß er doch gleich, war Soldat und vermisst, und die Zeiten waren hart. Um es kurz zu machen: Nach zehn Jahren hat die Mirella dann endlich geheiratet. Deine Großtante, die Zia Pina, hatte sich schon mit fünfzehn verlobt, hatte aber nun mal so lange ausharren müssen. Da starb der Vater, vier Jahre strikte Trauer, das war damals so. Natürlich kein Gedanke an eine Hochzeit. Die Zeit war fast zu Ende, da starb die Mutter, wieder Trauer, weitere vier Jahre in Schwarz. Pinas Verlobte wechselten, denn hübsch war sie ja. Aber sie alle wurden des Wartens müde. Die verschwanden, einer nach dem anderen. Die Pina hatte einfach Pech, sie ist übers Warten eine zitella geworden.«
»Zitella?« Ich erschauerte, was für ein grässliches Wort! »Wie alt war sie da?«
»Tja, so dreißig, denke ich, vielleicht auch dreiunddreißig...«
Ich hielt den Atem an, noch sieben Jahre, dann war ich auch dreiunddreißig. Wenn ich es bis dahin nicht schaffen
würde, jemanden zu heiraten, wäre ich damals bereits zitella, alte Jungfer, genannt worden. Unglaublich.
»Ja«, seufzte Signora Pollini, »ogni nato é destinato« Jeder hat sein Schicksal, man kann ihm nicht entkommen.
»Aber dann schickte ihre Schwester Mirella die dritte ihrer vier Töchter zu ihr, Maria, deine Mutter.«
»Aber warum?«
»Ach, die lebten ja irgendwo in
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