Das Limonenhaus
abmontiert. Ich klappte die Tür schnell wieder hinter mir zu. Auch Zia Pinas Platz war leer. Nicht einmal der Nagel für den Rahmen, aus dem sie in Schwarzweiß auf uns herabgelächelt hatte, steckte noch in der Wand. Ich begann die Treppe hinabzusteigen, mein Hals wurde eng und ließ kaum mehr Luft zum Atmen durch. Es war nichts von unserer gemeinsamen Zeit zu finden. Jemand hatte Leonardo, Grazia, Matilde und mich aus dem Limonenhaus getilgt, uns vollständig ausradiert.
Unter der Treppe war, wie in vielen alten sizilianischen Häusern, ein Winkel ausgespart. Langsam drehte ich an dem Keil, der die Holztür verschloss. Sieh an, dachte ich, das Kabuff hat irgendwer vergessen. Ich wühlte, doch ich fand nur alte Farbeimer, Plastiktüten und Bodenkacheln mit Lilienmuster, mit denen das Haus ausgelegt war. Der Reihe nach räumte ich alles aus der Nische. Wertloser Dreck, abgebröckelter Zement von den Fliesen. Nichts von Erinnerungswert, nicht einmal ein alter Bilderrahmen oder eine Türklinke aus Messing, nichts, was ich mitnehmen konnte.
Meine Augen suchten die Vertiefung unter der Treppe noch einmal ab. An der Seite, halb in eine Fuge neben der untersten Stufe gerutscht, steckte etwas. Es konnte ein Buchrücken sein, gebrochen, zerfleddert, vielleicht sogar nass. Womöglich bot der Sockel, auf dem das Haus stand, haarigen Wasserratten ein Zuhause. Wir hatten nie irgendwelche Geräusche gehört, aber denkbar war es, dass sie dort unten mit ihren langen Schwänzen entlanghuschten. Ich schauderte. Schnell stand ich auf, klopfte mir den Dreck von den Händen und lief durch die Küche. Das Meer vor
den Balkontüren war bis auf einen schwachen Purpurstreifen dunkel, die Bergkette zog sich düster in Richtung Cefalú, gleich würde das Rot mit der Sonne endgültig verschwinden. Zeit zu gehen. Doch das Buch, oder was immer es auch war, das Ding unter der Treppe ließ mir keine Ruhe. Meine Augen suchten nach einem langen Gegenstand, mit dem ich es dort herausholen konnte, ohne es berühren zu müssen. Hinter der Eingangstür entdeckte ich einen Besenstiel, mit dem ich unter den Stufen stocherte. Es knirschte, etwas riss, ich bekam es nicht heraus.
Lass es einfach!, sagte ich mir, raus hier und ab zu Signora Pollini. Dort nimmst du erst mal eine Dusche. Signora Pollinis Dusche hatte einen starken Strahl, sie speiste sich aus einem scheinbar endlosen Heißwasser-Vorrat und war das Beste an dem Zimmer, das sich dabei in ein Dampfbad verwandelte.
Einen Versuch noch, dann gehst du!, befahl ich mir, doch das Buch rutschte nur tiefer in die Spalte. Der Besenstiel war zu dick. Ich kroch auf den Knien so weit es ging durch die Öffnung und unter die Treppe. Schließlich erwischte ich es mit den Fingerspitzen, der Buchrücken riss weiter ein, doch dann hatte ich es endlich und warf es angeekelt hinter mich. Feucht mit einem fettigen Knäuel aus Haaren und Dreck im Schlepptau, schlitterte es über die Fliesen direkt unter die Halbmondhälfte des mezzo tondo. Es war ein Gesangbuch oder eine kleine Bibel, der schwarze Umschlag trug ein aufgeprägtes Kreuz, das nach oben gegen die Decke zeigte. Na großartig, sagte ich mir, wegen einer alten Bibel ist deine schwarze Hose jetzt an den Knien völlig verdreckt. Ich klopfte mich notdürftig ab. Wahrscheinlich lag da in der Spalte noch mehr Zeug. Ein Haarnetz von Zia Pina,
oder wie interessant: eine kaputte Brille! Aber ich konnte die Bibel nicht auf dem Boden liegen lassen. Ich legte sie auf den Tisch und schlug mit spitzen Fingern die erste Seite auf. Vielleicht hätte ich sie nur kurz durchgeblättert und wäre dann, ohne einen weiteren Blick zu verschwenden, aus dem Haus gegangen. Wenn da nicht diese rasende Kritzelei gewesen wäre, mit Graphit, so schwarz und immer noch schwärzer, brutal, endgültig. Innen, auf dem bräunlich angelaufenen Einband, hatte sich jemand alle Mühe dieser Welt gegeben, etwas unkenntlich zu machen. Ich ging zum Fenster und versuchte, das schwindende Licht einzufangen. Ich fühlte mit den Fingerspitzen über die Buchstaben, die sich unter der Schwärze in das Papier gedrückt hatten. »Allegra Maria Elisabetta« musste es heißen, ich war mir sicher, so schrieb Mamma das große »A«.
Lebhaft, heiter, lebendig bedeutete ihr Nachname. Viel hatte sie davon ja nun nicht gerade übernommen. Wer hatte den Namen unkenntlich gemacht? Sie selbst? Warum? Und wie kam ihre Bibel unter die Treppe, war das Zufall oder ein Versteck? Ich blätterte die dünnen Seiten der
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