Das Limonenhaus
den hässlichen Jogginganzügen fortschaffen! Ich suchte die Visitenkarte hervor und rief Mario den Taxifahrer an.
Während Mario in seinem Taxi vor dem Friedhof auf mich wartete, machte ich mich auf die Suche nach der Familiengruft der LaMacchias. Die davor aufgestellten ghirlande wiesen mir den Weg. Die Tür war offen, ich trat ein. Hier hatten sie Grazia gestern hinter eine breite Marmorwand gelegt, zu Gaetanos Familie. Rote Grablichter brannten in der feuchten Morgenluft, in einer der Kerzen schwammen zwei tote Motten im flüssigen Wachs, es roch nach Weihrauch. Ich betete vor Grazias Grab, ich weinte nicht, doch ich bat sie um Verzeihung für meine Eifersucht, mit der ich ihr manchmal das Leben schwer gemacht hatte:
»Es ist ein wenig spät dafür, ich weiß, aber ich werde, und das schwöre ich hiermit bei meinem eigenen Leben, ich werde Matilde aus den Händen deiner Mutter befreien! Denn das ist das Einzige, was ich noch für dich tun kann.« Mit festen Schritten ging ich die sandigen Wege zurück. Zwei Frauen kamen mir entgegen. Misstrauisch musterten sie mich, ich hielt ihren Blicken stand.
Wieder im Taxi bat ich Mario, mich zu Phils Hotel nach Palermo zu bringen.
»Wird gemacht, Signorina!«
Auf dem Weg schrieb ich eine Nachricht an Susa:
Ich habe eine Entscheidung getroffen, verrückt, aber es muss sein
Es klingelte, Susa war dran. Die Simserei mochte ja lustig sein, aber Susa war der Meinung, dass man wichtige Dinge persönlich besprechen sollte. Sie verachtete Leute, die ihr Leben per SMS führten, die auf diese Weise stritten, sich versöhnten oder ihre Beziehungen beendeten.
»Was ist passiert?«
Ich erzählte ihr in knappen Worten, wofür ich Teresa verantwortlich machte. »Und deswegen muss ich Matilde da rausholen -ich habe so eine Wut auf Teresa. Jetzt kann ich nicht mehr anders, sonst bekomme ich ein Magengeschwür!«
»Schaffst du das alleine?«
»Äh, ich werde vielleicht jemanden mitnehmen.«
»Wen?«
»Den Blitzschlag.«
»Oha.«
Susa schwieg einen Moment. »Das ist wirklich verrückt. Meinst du, der ist der Richtige dafür?«
»Keine Ahnung. Drück mir die Daumen!«
»Na, du wirst es schon merken, vertrau einfach deinem Gefühl. Ich drücke alle Daumen, die ich habe!«
Kapitel 11
PHIL
Gleich beim Erwachen drang eine Einsicht gnadenlos in mein Gehirn: Palermo war laut.
Das Hotel Oriente, das Brigidas Assistentin, Lilli, für mich gebucht hatte, lag mitten in Palermos überfüllten Altstadtgassen, in denen es permanent schepperte, jaulte und knatterte. Zusätzlich lärmten die Zimmermädchen mit ihren Staubsaugern vor meiner Tür und stießen dabei an alle Wände, die sie erreichen konnten. Ich lag auf dem Bauch und schob meinen Kopf unter die pralle Kissenwurst, auf der eine bequeme Position nicht einzunehmen war, ohne einen steifen Nacken zu bekommen. Erfolglos. Der Lärm aus dem Korridor war immer noch gut zu hören. Wahrscheinlich machten sie ein Spiel daraus: einen Treffer an der Fußleiste, ein Punkt, am Türrahmen, zwei Punkte, an der Tür selbst, höchste Punktzahl...
Ich zog an der bleischweren Brokatdecke, die sich am Ende des Bettes mit dem Laken verflochten hatte.
Tief unter mir jagten in diesem Moment zwei Motorräder durch die Gasse und verursachten explosionsartige Geräusche. Es war gerade mal acht. Ein Presslufthammer knatterte los, hörte auf und begann von Neuem. Nach zwei Sekunden
stoppte er wieder. Bitte nicht weiterhämmern, beschwor ich ihn, geht doch alle mal Frühstückspause machen, mein Kopf platzt sonst. Campari-Soda verursachte üble Kopfschmerzen -noch eine Erkenntnis am frühen Morgen.
Dopo pranzo hatte der Herr Pappalardo am Telefon erklärt, after lunch, sein Englisch war mäßig. Pranzo?, was für ein eigenartiges Wort für Mittagessen. Erst gegen 15 Uhr sollte ich mich in der Bar Azzurro, gleich gegenüber dem Hotel, mit dem Besitzer treffen und gemeinsam zur Villa hinausfahren. Ich gähnte, mein Leben war fantastisch: Ich würde heute eine Villa fotografieren und über tausend Euro damit verdienen, ich würde Brigida mit einem außergewöhnlichen Geschenk überraschen und ganz sicher ein paar wilde Anekdoten für sie erfinden. Ferner hatte ich vor, irgendetwas Lustiges für sie durchzuführen. Sie lachte so gerne, das war mein größter Triumph: ihr unverfälschtes Lachen zu verursachen, das aus ihr herausschoss wie ein Springteufel aus der Schachtel. Ich würde ihr etwas Verrücktes schicken, etwas Altmodisches, ein
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