Das Limonenhaus
hinter uns. Achtung!« Der Wagen pflügte durch eine riesige Wasserlache um die Kurve, sodass wir für eine Sekunde von aufspritzendem Wasser wie in einer Waschanlage umschlossen waren.
»Wir müssen zur Autobahn, da kommen sie mit der alten Kiste nicht weit. Wir werden sie abhängen! Die haben immer noch dieselbe Karre wie vor vier Jahren. Ich glaube es nicht.« Lella lachte euphorisch, aber ihre Stimme war hoch vor Angst.
»Vielleicht kannst du mich mal aufklären, was die von uns wollten? Was machst du jetzt mit dem Mädchen, und wieso...?« Mozart unterbrach mich klimpernd aus meiner Fototasche. Die Kleine Nachtmusik. Warum hatte Brigida diese unsinnige Mozartparodie in mein Handy eingespeichert? Ich würde das sofort ändern, sobald ich aus diesem Auto herauskäme, und je schneller dies der Fall war, desto besser. Lellas Augen fixierten immer noch den Rückspiegel. Ein grünes Schild, autostrada. Sie drückte das Gaspedal durch, bis der Motor zu jaulen begann.
»Täusche ich mich, oder wäre Palermo nicht die zweite Auffahrt gewesen?«
Lella nickte, ich drehte mich um und sah, wie der schmutzig weiße Wagen hinter uns zurückblieb. Das kleine Mädchen saß unangeschnallt auf der Rückbank, es hielt einen Bären im Arm und kaute konzentriert auf dessen Ohr herum.
Ich lächelte ihr zu, das alles musste ihr doch Angst machen. Mozart klingelte ununterbrochen.
»Was tust du?« Ich schaute wütend auf meine Armbanduhr und tastete nach meinem Handy. »Ich muss allerspätestens in zwei Stunden wieder in Palermo sein.«
Am rechten Fahrbahnrand schwenkte ein Mann in orangefarbener Warnweste eine ebenso grellfarbene Fahne, die dichte Schlange der Rücklichter leuchtete rot auf, Lella musste scharf bremsen, und die Räder rutschten über den nassen Asphalt. Ich kniff die Augen zusammen und spannte die Kiefermuskeln an, um mich gegen den Aufprall zu wappnen, doch einen Zentimeter bevor sich unser Kühler in den Kofferraum vor uns bohrte, standen wir still. Ich atmete tief durch.
»Ja, bitte?«
»Hallo, Süßer!«
»Hallo, amore.« Ich versuchte meiner Stimme den Enthusiasmus zu geben, den Brigida erwartete, und blickte unbeweglich geradeaus, um Lella nicht anschauen zu müssen.
»Na, noch im Bett, du Penner?« Das hörte sich äußerst gut gelaunt an. Vielleicht hatte ich ausnahmsweise ja auch mal Glück. Ich lachte: »Nein, nein!« Die vergangenen Ereignisse lagen noch auf meinem Kehlkopf, ich kratzte meine Stimme zusammen.
»Bin schon unterwegs, ich weiß nicht, wie das hier heißt.« Ich tastete nervös nach dem Reiseführer, ließ ihn aber doch in meiner Fototasche stecken. »Ja, Pappalardo hat heute Morgen noch ein Mal verschoben, es geht jetzt um fünfzehn Uhr los... alles klar... ja, sicher...«
Lella zuckte zusammen und stieß mich mit dem Ellenbogen an. Ich funkelte böse zurück.
»Hör mal«, sagte Brigida, »ich bekomme hier gerade ein anderes Gespräch.« Ein knappes Ciao, sie legte auf.
»Ciao, ciao, amore!«
»Höchste Zeit, amore«, murmelte Lella, mit einem Klack ließ sie die Zentralverriegelung einrasten. Im Seitenspiegel erkannte ich eine dicke männliche Person, die erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Schläger aus der Bäckerei hatte und sich fünfzig Meter entfernt von uns durch die stehenden Fahrzeuge zwängte. Vor uns stiegen Abgaswolken auf, die Schlange setzte sich zentimeterweise wieder in Bewegung.
»Schnell!«, ich schnallte mich ab, »kletter’ rüber! Du fährst zwar rasant, aber ob wir danach noch am Leben sein werden, ist mehr als fraglich.«
Lella widersprach nicht. Hastig löste auch sie ihren Gurt, wir schwiegen beide, nur unser angestrengter Atem keuchte durch das Auto, als sie über mich kletterte und zwischen meine Schenkel rutschte, während ich mich mit meinen langen Beinen unter ihr hindurch auf den Fahrersitz schob. Matilde gefielen unsere Verrenkungen, sie klatschte hinten von ihrer Bank begeistert in die Hände. Geschafft! Schon machte sich eine Hand an der Tür des Wagens zu schaffen, und der Dicke guckte mit seinen schwarz getönten Brillengläsern wie eine Stubenfliege herein. Er schlug mit der flachen Hand gegen das Fenster und brüllte irgendwas, doch die Straße war jetzt frei, und ich konnte beschleunigen. Ein paar Meter schleiften wir ihn an unserer Seite noch mit, während es hinter uns wild hupte. Dann ließ er endlich los. Lella beugte sich vor, um in den Seitenspiegel zu schauen; ich beobachtete die in den Himmel gereckte Faust der Figur im
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