Das Limonenhaus
Rückspiegel, bis sie zwischen rot-weißen Baustellenbaken und blühenden Oleanderbüschen verschwunden war.
Bei Brigida hätte ich versucht, meinen Zorn und meine Angst zu vertuschen und alles als großes Abenteuer herunterzuspielen, aber bei Lella dachte ich überhaupt nicht daran, mich zu verstellen.
»Verdammt, wir fahren in die falsche Richtung! Was tue ich hier? Ich muss spätestens um halb drei in Palermo sein. Ich sollte für dich fotografieren und wollte dann meine Sachen in mein Hotel bringen, aber nein, ich fotografiere nicht, stattdessen lasse ich mich in einer elenden Backstube irgendwo außerhalb von Palermo niederschlagen.« Ich holte Luft und suchte mit dem Schaltknüppel nach dem fünften Gang. Ich wusste, dass der Zorn drei tiefe Querfalten in meine Stirn gefurcht hatte.
»Außerdem bin ich bis jetzt kein Stück weiter mit meinen Nachforschungen gekommen, das war schließlich ein Teil der Abmachung, oder? Du erinnerst dich vielleicht? Was denkst du dir eigentlich, mir...«
Eine Reihe von Pieptönen unterbrach mich. Es war wieder mein Handy, diesmal kein Mozart, also konnte es auch nicht Brigida sein. Lella schnappte es sich vom Boden, auf den es während unseres Bäumchen-wechsel-dich-Spielchens gerutscht war, und studierte die Nummer, die angezeigt wurde: »Pronto!«
Ich streckte ungeduldig die Hand aus und wedelte das Telefon mit den Fingern zu mir, vergebens.
»Il Signor Filippo Dómin«, Lella betonte den Namen genauso falsch auf der ersten Silbe, wie der italienische Anrufer es wahrscheinlich getan hatte, »in questo momento non c’è.« Ihre Stimme klang schon fast verführerisch, als sie fortfuhr: »Posso riferire qualcosa?« Ich schlug mit der Faust auf das Steuerrad, das war doch nicht zu fassen! Sie mischte sich in alles ein,
nickte nur, sagte d’accordo, va bene, capisco und einiges mehr, und legte schließlich auf.
»Kann ich mein Telefon bitte mal wiederhaben? Was fällt dir ein, da dranzugehen? Wer war das? Ich muss zurück! Wann kommt hier die nächste Abfahrt? Warum ist es dem Sizilianer nicht möglich, hier mal anständige Schilder aufzustellen? Weder Kilometer noch Orte sind angegeben. Ich muss zurück, geht das eigentlich in deinen Kopf, oder was!?«
»Schrei nicht so, du machst Matilde Angst.«
»Oh, Entschuldigung, Matilde!«, sagte ich leise in Richtung Rückbank. »Meine Güte, ich fasse es nicht«, zischte ich zu Lella rüber.
»Was denn? Es ist alles in Ordnung, dein Job ist verschoben, die Villa Camelia...«
»Camilla!«, knurrte ich.
»Camilla«, wiederholte Lella freundlich. »Die Villa Camilla kannst du erst in drei Tagen fotografieren, der jetzige Besitzer sitzt in... ach, irgendwo, fest. Wir haben also volle zwei Tage Zeit und sind auch schon auf dem richtigen Weg. Ist doch schön.«
Lella lehnte sich zufrieden zurück, und statt zu bremsen, auszusteigen oder zu fluchen, lenkte ich den Wagen sprachlos über eine Trasse auf hohen Betonstelzen geradeaus, immer weiter fort von Palermo. Rechts und links klebten bunte Häuser an den kargen Berghängen, grüne und braune Feldquadrate lagen wie Teppichstücke nebeneinander tief unten im Tal und täuschten mir ein harmloses Stück Sizilien vor. Ist doch schön? Also diese Frau hatte Nerven!
»Erst in drei Tagen, das hat er gesagt?«
»Das hat er gesagt.« Lella sprach leise gegen die Scheibe an ihrem Fenster.
»Wer überhaupt?«, raunte ich zu ihr hinüber.
»Der Signor Barbero Pappalardo, toller Name.«
Wir fuhren durch einen langen Tunnel, gelbe Lichtrechtecke flogen vorbei, und als wir von der Röhre wieder ans Tageslicht gespien wurden, war von kargen Bergen nichts mehr zu sehen. Dafür standen pechschwarze Schafe reglos wie ausgestanzt auf grünen Wiesen. Ich war erschöpft und überlegte krampfhaft, was ich tun sollte. Vor Brigida hätte ich den unerschrockenen, heiteren Draufgänger gegeben, das war hier jedoch nicht nötig. Am liebsten hätte ich mich auf das weich aussehende Grün hinter einen dieser großen Steine gelegt und an gar nichts mehr gedacht.
»Lupi, lupi neri!«
»Si, tesoro.« Lella drehte sich zu Matilde und antwortete ihr auf Italienisch.
»Matilde hat recht«, sagte sie dann zu mir, »sie sehen zwar wie Schafe aus, aber das könnten auch schwarze Wölfe sein, gemeine schwarze Wölfe. Hat es alles schon gegeben, oder?«
Ich nickte und überlegte angestrengt, was ich erwidern könnte. Sie war der Wolf im Schafspelz, sie schob mich doch mit treuherziger Miene zum Fotografieren in
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