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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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in Doppelwellen. Mit schneidender Stimme, die nicht zu der lachenden Grimasse ihres Gesichts passte, fuhr sie fort: »Solltest du auf die dumme Idee kommen, dich Matilde zu nähern, könnte das deiner Gesundheit schaden. Vielleicht hat deine Mutter dann auch bald keine Tochter mehr.«
    Ich konnte die Wut im ganzen Körper spüren; die gleiche eiskalte, hämmernde Wut vom Morgen war wieder da. »Du bist wahrlich nicht die Person, die mir drohen kann!«, sagte ich beherrscht, nahm Schwung und knallte die Schranktür extra laut zu. Teresa zuckte nicht einmal zusammen. »Was ist mit dem Limonenhaus?«, rief ich. »Wie kommst du dazu, alle Möbel zu verbrennen? Sie gehörten dir nicht! Sie gehörten meiner Mutter!«
    Die zwei gemalten Linien, die ihre vollständig gezupften Augenbrauen ersetzen sollten, zogen sich in die endlose Wölbung ihrer Stirn. »Deine Mutter hat bekommen, was sie verdient hat, jeder von uns hat bekommen, was ihm zustand«, herrschte sie mich an. »Und jetzt raus hier!«
    »Jeder von uns hat bekommen, was ihm zustand«, ahmte ich sie leise nach. Was hatte sie damit nur gemeint?

    »Wo ist nonna, ich habe Hunger.«
    Ich schaute auf. »Nonna ist zu Hause«, antwortete ich Matilde, »ich gebe dir etwas.« Ich versorgte Matilde in der Küche mit den letzten Cornflakes aus meinem Proviantkorb und beobachtete eine Weile, wie sie sich die trockenen Flakes in den Mund löffelte und knuspernd zerkaute. Dann ging ich hinüber in unser Schlafzimmer, zog die sonnengelbe Tagesdecke des Bettes bis zum Fußende herunter und streckte mich auf dem leicht nach Essig riechenden Laken aus. Nur zwei Minuten! Im Liegen streifte ich meine hochhackigen Sandaletten ab, klack, klack, landeten sie nebeneinander auf dem kühlen Steinboden. Ich breitete die Arme aus und dachte hinter geschlossenen Augenlidern weiter darüber nach, was Teresas Bemerkung bedeuten könnte. Was hatte meine Mutter verdient? Leonardos Tod? Teresa hasste mich jedenfalls, sie würde rasen vor Ärger über unsere gelungene Flucht.
    Waren wir vielleicht schon mit einem großen Farbfoto von Matilde in den Abendnachrichten? Suchten sie nach mir als mutmaßliche Entführerin? Ich sah mich in einer Bar auf den Bildschirm starren, getarnt mit schwarzer Sonnenbrille und Kopftuch. Morgen. Allerfrühestens morgen würde überhaupt was in den Zeitungen stehen, dann erst würde ich die Nachrichten verfolgen. Heute war ich einfach zu müde.
    Meine Beine lagen schwer wie Bleiröhren auf dem Bett. Ich hörte den Wind an den Scheiben rütteln. Nach und nach verflüchtigten sich die Sorgen um unsere Verfolger wie Nebelfetzen aus meinem Kopf und machten den Gedanken an jemand anderen Platz. Phil.
    Vielleicht war Phils ruppige, unfreundliche Art nur eine
Tarnung, das war doch manchmal bei Männern so. Vielleicht traute er sich aus irgendwelchen Gründen nicht, nett zu mir zu sein. Weil er mich eigentlich sehr gern hatte? Unsinn, seitdem wir den Zug bestiegen hatten, war er ziemlich grob und abweisend gewesen. Warum spielte alles in mir dennoch verrückt, wenn er neben mir stand? Wie eben, in den letzten fünf Minuten, als ein anderer Phil durchgebrochen war, der lachte und sogar die Säulen gestreichelt hatte. Welcher Teil meines Körpers, welche Ecke meines Unterbewusstseins diktierte mir dieses flaue, gleichzeitig elektrisierende Gefühl? Ich bohrte darin herum, bis nichts mehr davon übrig war und ich mir Phils Gesicht und sein Lächeln noch einmal frisch und von Neuem vorstellen musste, damit ich überhaupt etwas spürte. War diese Empfindung echt, oder war Phil mir einfach nur nützlich erschienen? Wiederholte ich unbewusst dieselbe Geschichte wie mit Claudio? Dessen Körper mir gefiel, dessen Reden und maßlose Neugier auf das Leben anderer Leute mich jedoch nach kurzer Zeit nervös machte, erste Zeichen, die ich verdrängt hatte, nur um weiterhin in der Nähe von Leonardo zu sein?
    Der Wind ließ einen Augenblick nach. Ich konnte Matilde in der Küche nebenan leise vor sich hin summen hören. Wunderbar, sie schmatzte ein bisschen. Das Schmatzen hatte Teresa meinem kleinen Äffchen noch nicht austreiben können. Matilde würde Zeit brauchen, aber irgendwann würde sie plappern und reden wie ein ganz normales vierjähriges Mädchen. Eine warme Woge breitete sich in meinem Brustkorb aus. Etwas in mir drängte mich aufzustehen, um sie zu umarmen und zu küssen.
    Gleich ˿ einen Moment noch, ich atmete tief ein, zu meinem Erstaunen war ich innerlich ganz ruhig.

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