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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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Möglicherweise
lag es an der Insel, überlegte ich, dieses Salina lullte uns alle mit seinem Wind, seiner Abgeschiedenheit und dem milden Klima ein. Auch Phil. Ich schnaubte, und es hörte sich fast an wie ein Lachen. Er war noch kein einziges Mal herübergekommen, um sich über Dinge zu beschweren, die im Appartement ›Manuela‹ nicht funktionierten. Ich dachte an Phils tiefe Stimme. Seit heute Mittag im Zug hatten wir kaum mehr miteinander geredet.
    Ein dumpfes Poltern, die Plastikschale der Cornflakes schepperte, dann, nach einer Pause, kurz wie ein Wimpernschlag, prallte noch etwas auf dem Küchenboden auf. Ich erstarrte. Matildes Liedchen war verstummt. Kein Schrei. Nur eine grausame Stille, in der ich den Wind an den blutroten Blütenzweigen zerren hörte, die vor meinem Fenster am Haus emporkletterten.
    Ich sprang auf und rannte in die Küche. Matilde lag auf der Seite, ihre Baseballkappe war heruntergefallen, wie ein Fächer breiteten sich ihre schwarzen Haare zwischen den Flakes auf den Steinfliesen aus und verdeckten ihr Gesicht.
    »Phil!«, schrie ich zur offenen Tür hinaus und warf mich auf die Knie. Erleichtert hörte ich seine Schritte im selben Moment über die Terrasse kommen. Wir beugten uns über sie. Ich strich ihr mit zitternden Fingern die Haare aus dem Gesicht.
    »Sie ist bewusstlos, oder?«, fragte ich.
    »Ich glaube ja«, sagte er ruhig.
    » O Dio, die Beerdigung und die lange Reise, das war alles zu viel für sie!«
    Phil schüttelte den Kopf. »Davon wird ein Kind nicht ohnmächtig und fällt von der Bank. Wir brauchen einen Arzt.«

    »Leg sie da rein, in mein Schlafzimmer!« Geschickt hob Phil die leblose Matilde hoch, trug sie hinüber und setzte sich mit ihr auf mein Bett. Er richtete den schmächtigen Körper in seinen Armen ein wenig auf. »Sie hat Fieber, sie ist total heiß.«
    Ich zuckte stumm mit den Schultern, doch meine Hände zitterten noch immer. Was sollten wir jetzt tun? »Untersuche mal ihren Kopf, kannst du etwas erkennen?« Immer noch sprach er mit dieser erstaunlich ruhigen Stimme. Ich tastete Matildes Stirn ab.
    »Hier, seitlich an der Schläfe ist eine kleine Schwellung, da scheint sie an der Bank oder am Tisch aufgeschlagen zu sein. Sieht aber nicht schlimm aus, kein Blut jedenfalls.«
    Dann begann ich, Matildes Hinterkopf auf weitere Verletzungen abzutasten. Plötzlich fühlte ich etwas und teilte ihr Haar, um besser sehen zu können.
    » Oh Dio , was ist das denn?«
    Meine Finger hatten eine eitrig nässende Stelle von der Größe und Farbe einer aufgeplatzten, faulen Kirsche zwischen den Haarwurzeln freigelegt.
    »Das ist das, was so riecht. Madonna, wieso habe ich das nicht früher bemerkt? Es sieht scheußlich aus. Der Geruch... Ich kann das kaum... Entschuldige!«
    Würgend rannte ich auf die Terrasse und kniete mich auf eine der gemauerten Bänke zwischen zwei Säulen. Schon in der nächsten Sekunde spürte ich, wie bittere Galle durch meine Kehle schoss und sich das bisschen, was ich in den letzten Stunden gegessen hatte, auf die Orchideen, Geranien und Lilienstauden unter mir ergoss. Geschwächt taumelte ich zurück in die Küche, um mir am steinernen Ausguss den Mund auszuspülen. Ich kannte mich mit Kindern nicht
aus. Matilde starb womöglich, ihr bewusstloser kleiner Körper konnte schon in der nächsten Sekunde aufhören zu atmen. Ich würde für den Tod meiner kleinen Nichte schuldig gesprochen, weil ich mich erst mal übergeben musste und nicht das tat, was in so einem Fall zu tun ist.
    Von nebenan hörte ich Phil: »Sie kommt wieder zu sich. Schnell, such die Nummer vom Vermieter, von diesem Giuseppe! Ruf ihn an und erklär ihm, dass wir sofort ins Krankenhaus müssen!«
    Die Nummer. Der Vermieter. Natürlich. Ich spuckte das Wasser aus und folgte Phils Anweisungen. Giuseppe versprach, sofort mit dem Auto zu kommen.
    Sechs Sprachnachrichten meldete mein Handy blinkend, nein, sogar sieben SMS. Claudio, Claudio, Claudio. Jetzt lesen?, schlug das Handy vor.
    Nein! Auf keinen Fall! Was wollte er noch von mir? Machte er gemeinsame Sache mit den Brüdern und verfolgte mich? Dem traute ich alles zu. Ich warf das Handy beiseite und lief zurück in das Schlafzimmer. Ich war noch nicht bei ihnen, da beugte Matilde sich vor und erbrach sich auf die braunen und weißen Vierecke der Bodenfliesen. Phil hielt Matilde fest und stützte vorsichtig ihre Stirn. Er verzog keine Miene, auch dann nicht, als ein paar große Platscher auf seinen Edelturnschuhen landeten,

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