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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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Gedanken zu überfallen.
    Was sollte ich tun? Was hatte ich mit Matilde vor? Wo sollten wir hin? Nach Hause?
    Es klapperte leise aus der Küche. Wenn Phil nach mir rief, bevor ich bis zehn gezählt hatte, würde alles gut. Ich begann zu zählen, wurde immer langsamer, denn er rief nicht. Bei ›zehn‹ betrat Phil das Zimmer mit einem Tablett in den Händen, und ich war nicht schlauer als vorher. So ein Quatsch.

    »Danke!«, flüsterte ich und richtete mich auf, als er sich auf meiner Seite des Bettes ans Fußende setzte und das Tablett zwischen uns abstellte.
    Zwei Gläser Rotwein, bröckelige Käsestücke, mit hauchdünnen Butterscheiben belegtes Weißbrot und ein Schüsselchen mit cucunci, den Stielkapern von Salina, groß wie Haselnüsse. Sogar eine Padre-Pio-Kerze hatte er gefunden und dazugestellt. Das Gesicht des Padre flackerte, seine dunklen Augenbrauen zuckten. Wir tauschten einen Blick und betrachteten dann Matilde. Große Kreise, rot wie Klatschmohn, waren auf ihren Wangen erschienen. Sie atmete hastig durch den halb geöffneten Mund, jeder Atemzug eine Anstrengung.
    »Ist sie immer noch so heiß?«, fragte Phil. Ich prüfte mit dem Handrücken ihre Temperatur.
    »Ich glaube, das Fieber steigt zumindest nicht mehr.« Er nickte zuversichtlich: »All diese Medikamente, die die Ärztin ihr gegeben hat, müssen doch einfach wirken!«
    Er nahm ein Stück Käse und hielt inne. »Oder?«
    »Bestimmt!« Nun glaubte ich selber daran.
    Phil hob sein Glas und sagte: »Was für ein Tag!«
    »Ja, was für ein Tag«, wiederholte ich nur, weil mir im Moment nichts Besseres einfiel. Ich trank und biss in eine Weißbrotscheibe. Zwei harte Butterstückchen landeten auf dem Teller. Trotz meiner Sorge um Matilde dachte ich an meinen Teil unserer Verabredung, den ich so schnell wie möglich einlösen wollte. Schließlich waren wir nicht nur hier, um uns zu verstecken, sondern ich hatte versprochen, Brigidas Eltern zu finden. Und dazu musste ich von ihm noch einiges über Brigida erfahren. Wann und wie lange hatte sie auf Salina gelebt? War sie hier zur Schule gegangen? Wie alt waren
ihre Eltern ungefähr? Ich nahm die Butter mit dem Streichmesser auf und legte sie zurück auf das Brot.
    »Also, das mit den Eltern deiner Freundin, denk nicht, ich hätte es vergessen! Wenn es Matilde morgen besser geht...!«
    Phil winkte mit dem Glas in der Hand so heftig ab, dass der Wein beinah überschwappte. »Aber dazu muss es ihr erst mal besser gehen, alles andere ist bis dahin völlige Nebensache. Und wenn wir morgen tatsächlich damit anfangen sollten, dann reicht es auch, wenn wir erst morgen darüber reden, o.k.?«
    Gut, dann eben erst morgen. Mir war es recht. Die Eltern interessierten mich doch gar nicht. Phil interessierte mich. Wer bist du?, drängte es mich zu fragen, erzähl mir alles! Gib mir die Erlaubnis, mich in deinem Leben einzunisten, damit ich aufhören kann, über mein eigenes nachzudenken. Ich trank mein Glas in einem Zug leer. Wir aßen. In der Küche hörte ich die Wanduhr ticken. Giuseppe hatte sie aufgezogen, bevor ich ihn davon hatte abhalten können. Das Ticken machte mich traurig. Es erinnerte mich an jede vergeudete Sekunde, die ich auf Leonardo gewartet hatte.
    »Schon seltsam, hier zu sitzen.« Wie beim Mühle spielen zog Phil mit einem Stück Käse über seinen Teller, rückte dann mit dem Brot hinterher. Ich nickte, konnte aber in dem Moment nur kauen.
    »Und? Wie sieht dein Leben sonst aus, wenn du nicht Kinder entführst?«
    Ha! Vor Überraschung würgte ich den viel zu großen Bissen Brot hinunter. Es war andersrum! Er wollte sich bei mir einnisten!
    Wie sah mein Leben aus, was konnte ich Phil antworten?
    »Erzähl mir von Matilde und deinem Bruder und Grazia.«
    Ausgerechnet Grazia. Ich zögerte. Wo sollte ich beginnen?
    »Leonardo war mein Zwillingsbruder, als Kinder waren wir unzertrennlich. Mit dreizehn hatte er seine erste Freundin, die fand ich doof. Mit achtzehn habe ich ihn gehasst, wie man nur jemanden hassen kann, den man eigentlich liebt. Dann, mit zweiundzwanzig, nahm ich endlich wieder an seinem Leben teil. So wie früher.«
    Phil zog die rechte Augenbraue hoch. Ob er wusste, dass er auf diese Weise ziemlich toll aussah?
    »Ein Jahr lang lebte ich hier auf Sizilien mit ihm, sogar gegen den Willen meines Vaters. Das war mir aber egal. Ich wollte bei Leonardo sein.«
    »Aha! Und nach dem Jahr?«
    »Warf Leonardo mich raus.«
    Phil zog auch die linke Augenbraue hoch.
    »Nein, natürlich nicht

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