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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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Minuten später konnten wir ihre regelmäßigen, hastigen Atemzüge hören.
    »Sie schläft«, sagte ich unnötigerweise. Das Kind schläft, der Boden ist geputzt, jetzt willst du bestimmt gleich gehen, fügte ich im Stillen hinzu.
    Das mit dem Boden hatte Phil mit ein paar Handgriffen erledigt, als ich mich im Bad einschließen musste, um in Ruhe zu heulen. Es roch im Zimmer nach ace, dem Bleichmittel in der weißen Flasche, die man auf Sizilien in jedem Haushalt und anscheinend auch in abgelegenen Ferienhäuschen unter der Spüle findet.
    »Giuseppe war eben noch mal da. Ich schau kurz nach, er hat uns wahrscheinlich die Medikamente vor die Tür gestellt.« Phil stand auf und ging in die Küche.
    Uns! ›Uns‹ war ein wunderschönes Wort. Ich blickte ihm hinterher. Seine dunklen Jeans saßen perfekt. Ich mochte seinen Gang, nachlässig, aber irgendwie aufrecht. Ich hörte, wie er die Haustür öffnete, sie wieder schloss und draußen zu telefonieren begann. Fröhliche Stimme, angespannte Stimme, leiser werdend, und dann hörte ich gar nichts mehr. Er kam wieder herein und packte am Küchentisch etwas aus. Ich saß ganz still und hörte sein Murmeln:
    »Einmal Wein, Brot, H-Milch, Kaffee, Marmelade, wahrscheinlich Käse oder so, ein Glas mit... kukunki , seltsam.«
    Plötzlich fing ich wahnsinnig an zu kichern und konnte nicht mehr aufhören. Ich gackerte wie ein Huhn in die Laken, bis ich fast platzte. Matilde war fast an einer Infektion gestorben, Teresa und ihre drei Söhne waren immer noch
hinter uns her, doch ich lachte wie eine Verrückte über Phil, nur weil die Kapern am Stiel, die Giuseppe uns gebracht hatte, »cucuntschi« ausgesprochen wurden. Es war absurd. »Was sollen wir mit kukunki?«, murmelte er wieder. Kukunki! Das Kichern trieb mir Tränen in die Augen, bis es genauso plötzlich aufhörte, wie es gekommen war. Noch ganz außer Atem wischte ich mir die Lachtränen aus dem Gesicht. Ich war wahrscheinlich kurz davor durchzudrehen.
    Erst als ich mich wieder beruhigt hatte, bemerkte ich die klamme Feuchtigkeit der Mauern und die Kälte des Bodens. Kurze, eisige Schauer jagten über meinen Rücken. Meine Füße waren frostig, doch ich wollte bei Matilde bleiben, das war ich ihr schuldig. Ich tastete unter dem Verband nach der Kinderstirn. War sie immer noch so heiß? War sie ein klein bisschen abgekühlt? Die Ärztin hatte Matilde drei verschiedene Medikamente eingeflößt, darunter auch einen Saft gegen das Fieber. Möglicherweise war die Kleine nicht mehr ganz so heiß. Ich war mir nicht sicher.
    Ich hatte noch nicht einmal ein Fieberthermometer aus der Apotheke bei Giuseppe bestellt. Kinder bekamen immer mal Fieber, das war allgemein bekannt. Wie wollte ich ein Kind großziehen, wenn ich das Fieberthermometer vergaß?
    Irgendetwas rumpelte in der Küche quietschend über den Boden und kam näher. Auf rostigen Mini-Rädern zog Phil einen Heizkörper vor das Fußende des Bettes, steckte den Stecker ein und bediente den Regler des Thermostats. Er hob die Hände, als erwarte er, dass das Ding explodieren würde. Als offenbar nichts explodieren wollte, verschwand er, ohne mich anzuschauen, wieder in der Küche. Geräusche drangen von nebenan, Schubladen wurden geöffnet und durchwühlt, Schränke auf- und wieder zugeklappt, das
Klirren von Gläsern. Ich streckte mich neben Matilde aus und konnte nach ein paar Minuten fühlen, wie meine Füße auftauten und die trockene Wärme sich im Zimmer ausbreitete. Ich schloss die Augen und schnupperte. Ein Geruch von Meeresluft mit einem leichten Essighauch, so hatten die Laken damals im Limonenhaus auch gerochen. Es war wirklich so, als läge ich wieder für ein paar Minuten im Malzimmerchen auf dem Bett, um mich auszuruhen. Der pfeifende Wind ersetzte den Klang der Wellen, und nebenan konnte ich Leonardo für mich kochen hören. Gerade wurde ein Korken aus einer Flasche gezogen. Ein scharfer Schmerz durchfuhr mich. Leonardo würde nie wieder in der Küche herumhantieren, den Wein entkorken und für mich kochen. Nie wieder! Selbst nach drei Jahren fiel mir noch etwas ein, was er nie wieder tun würde, und es tat immer noch weh.
    Matilde stöhnte leise. Ich öffnete rasch die Augen und setzte mich auf. Ich befühlte Matildes Stirn, sie war genauso heiß wie vorher, doch das Fieber schien wenigstens nicht weiter zu steigen. Ich ringelte mich wieder wie ein Embryo zusammen und versuchte, an nichts zu denken, doch schon begann mein Gehirn erneut, mich mit quälenden

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