Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
Vom Netzwerk:
hatte und die seitdem dort oben langsam einstaubten. All das gab seinen Duft ab, ganz fein nur, trotzdem würde ich die Zutaten für meine Gerichte allein mit meiner Nase finden, falls mal der Strom ausfiele.
    Es klopfte.
    Die Espressokanne war von innen mit verdächtigen Metallflechten überwuchert, die darin hochgekochte Flüssigkeit war schwarz wie Teer und bitter. Die aufgeschäumte
Milch war dafür so dünn, dass sie bläulich schimmerte. Wir verloren beide kein Wort darüber. Auch das zäh gewordene Weißbrot, die helle, geschmacklose Butter, die sich nicht ordentlich streichen ließ, und die entsetzlich süße, unnatürlich rote Erdbeermarmelade übergingen wir.
    Ich konnte mit ihm schweigen, stellte ich fest. Je länger die Schweigsamkeit zwischen uns andauerte, desto kostbarer wurde sie mir. Ich verwarf einen Satz um den anderen, keines meiner Worte war es wert, unsere Stille damit zu durchbrechen.
    Benommen von Phils Nähe, seinen Armen auf dem Tisch, den Händen neben dem Teller, seinem Kauen, dem kaum hörbaren Rascheln seiner Kleider, räumte ich das Geschirr in den steinernen Ausguss. Waren wir zwei Fremde, die sich nicht zu nahe kommen wollten? Zwei Unbekannte, die notgedrungen miteinander frühstücken mussten? Oder waren wir zwei zukünftige Liebende, die sich schweigend umkreisten und mit scheuen Blicken streiften, nur den passenden Moment suchten, um sich zu umklammern und ihre Zungen vorsichtig einander erkunden zu lassen?
    Es war ein wunderschöner Tag, blauer Himmel mit Sonnenschein, kaum Wind, aber keine Rechtfertigung, die außergewöhnliche Stimmung mit Banalitäten über das Wetter zu zerstören. Ich lief hin und her, ich räumte und wischte, dann war der Moment gekommen, ich musste reden.
    »Fangen wir an? Es tut mir leid, dass wir wegen Matilde jetzt...«
    »Das ist doch nicht wichtig«, unterbrach mich Phil sofort, »wir waren rechtzeitig mit ihr bei der Ärztin, und sie wird wieder gesund.«
    »Falls sie sich bis morgen nicht noch einmal übergibt,
darf sie langsam wieder aufstehen.« Ich hob beide Hände. »Leider haben wir ja nur den heutigen Tag und morgen, also wäre es das Beste...«
    Er half mir und fuhr fort: »... wenn ich auf sie aufpasse, während du...?«
    »... während ich die Erkundungstour starte«, ergänzte ich.
    Unwillkürlich musste ich lächeln. Ruhig saß er da und trank den fürchterlichen Milchkaffee. In der Tür zum Schlafzimmer bürstete ich meine Haare, bis sie glänzten. Aber Phil kontrollierte schon wieder sein Mobiltelefon. Ich verscheuchte das dumme Lächeln aus meinem Gesicht und griff nach meinem Handy. Diese Tätigkeit war anscheinend ansteckend. Fünf neue Textnachrichten von Claudio.
    »Der schon wieder«, stöhnte ich. Ohne sie zu lesen, drückte ich die Tasten. Jetzt löschen? Fünf mal Ja. Ich warf das blöde Ding hart auf den Tisch.
    Wann hatte Brigida Salina verlassen? Wie lange wohnten ihre Eltern schon auf der Insel? Ich brachte es nicht fertig, ihm die Fragen zu stellen. Ich wollte den Namen ›Brigida‹ einfach nicht aussprechen.
    Phil saß an Matildes Bett und machte mit der Hand eines seiner beruhigenden Zeichen.
    »Bis gleich«, flüsterte ich, griff mir das Handy vom Tisch und ging mit schnellen Schritten aus dem Haus. Der Wind der vergangenen Nacht war zu einer schwachen Brise abgeflaut, seit gestern schien sich noch mehr Grün ausgebreitet zu haben. Gelbe und hellblaue Schmetterlinge flogen durch einen Wald von Lilien und unzähligen anderen blühenden Pflanzen. Es war Frühsommer, und alles rankte und spross. Ich stieg die steile Straße hoch und zog nach einigen Schritten
mein dünnes Jäckchen aus, es war viel zu warm. Ich benötigte ein Telefonbuch und ein paar Minuten auf einer Bank am Kirchplatz, alles andere würde sich finden. Zuversichtlich betrat ich kurze Zeit später die namenlose Bar und tastete mich durch angenehmes Halbdunkel vor. Auf dem Tresen lag die aktuelle Ausgabe der La Sicilia , und dahinter stand ein schmales Narbengesicht, bei dem ich ein Schinken-Toast mit Tomaten und Mayonnaise bestellte. Ich war nervös, und wenn ich nervös bin, muss ich deftig essen, auch wenn die Uhr an der Wand wie jetzt erst halb zehn zeigt. Schnell blätterte ich die Zeitung durch. Nichts über uns, kein »Kleines Mädchen entführt«, kein Phantombild von mir. Na also! Ein Gefühl der Gelassenheit breitete sich in mir aus. Ich dachte an Matilde, die klein und elternlos, nur mit einer klaffenden Schneise in ihren Haaren, im Bett lag,

Weitere Kostenlose Bücher