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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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Lehrern war ich wegen meiner hohen Stimme und meiner... Besserwisserei, na ja, ich nannte das damals Schlagfertigkeit, unsympathisch. Nur widerstrebend gaben sie mir gute Noten.«
    »Und wie hast du dann herausgefunden, was es war?«
    »Das ist eine recht banale Geschichte. Ein Arzt hätte die ganze Sache viel früher aufdecken können, doch bis auf den uralten Dr. Strömer, der war Zahnarzt, konsultierten wir keine Ärzte. Meine Mutter hielt nichts von ihnen. Die hatten ihren geliebten Mann nicht retten können und mir das Riechen genommen. Sie gab mir lieber homöopathische Tropfen. Vielleicht hätte mir ein großer Bruder geholfen. Ich glaube, ich war damals ziemlich einsam.«
    »Leonardo und ich hatten wenigstens einander und die Nachbarskinder«, sagte Lella leise. »Angela und Luigi, zwei Kinder aus dem italienischen Laden um die Ecke. Ihre Mutter, also die Signora Baldini, sagte unserer Mutter immer, was sie tun sollte.«
    »Signora Baldini, die gute Frau mit den Nutellabroten!«
    »Du merkst dir aber auch alles«, flüsterte Lella.
    »Nicht alles. Aber warum mischte sich diese Frau in euer Leben ein?«
    Lella schnaubte durch die Nase und schüttelte den Kopf. »Das war eigentlich ganz gut so. Meine Mutter wusste ja
nie, was wir Kinder brauchten: Multivitaminsaft, Kostüme zu Karneval und eine Schultüte zum Schulanfang, das waren alles Dinge, die sie aus Sizilien nicht kannte. Signora Baldini war meine Rettung, denn sie verstand sofort, wenn ich von runden Käseschachteln und einem Holzstab sprach. Dinge, die ich brauchte, um zu St. Martin eine Laterne zu basteln. Wir gingen ziemlich oft rüber zu den Baldinis. Irgendwann zogen sie dann aber weg.«
    Ich schaute ihr so gerne beim Reden zu. Schnell bohrte ich den Korkenzieher in den Korken der letzten Flasche Wein.
    »Aber ich hatte nicht vor, von mir zu reden, erzähl weiter«, bat Lella.
    »Wenn ich aufhören soll, musst du es sagen.« Dabei wollte ich nicht aufhören. Ich hatte das Gefühl, meine Geschichte war hinter ihren dunklen Augen gut aufgehoben.
    »Bei der Bundeswehr fiel das erste Mal dieser Begriff, pubertas tardis. Die haben mich ganz schnell ausgemustert. Nicht dass ich unbedingt zu diesem Verein gewollt hätte, doch die Blicke waren verdammt demütigend. Nach dem Abitur begann ich eine Lehre als Fotograf in einem Geschäft bei uns in der Kleinstadt, zu was Größerem fehlte mir der Mut. Ich weiß nicht, ob das überhaupt für einen Außenstehenden zu begreifen ist. Alles begann und endete mit meinem Körper. In Filmen und Büchern beschäftigten sich die Protagonisten mit unzähligen Problemen und zeigten ihre ganze Gefühlspalette her, aber niemand musste sich mit dem auseinandersetzen, was mich bewegte. Ich arbeitete stundenlang in der Dunkelkammer, froh, dass die Welt mich nicht sah.« Ich grinste kurz, ich wollte auf keinen Fall Mitleid heischend erscheinen. »Und eines Tages,
kurz nach meinem neunzehnten Geburtstag, war es dann so weit. Ich stellte erste Anzeichen fest, mein Körper veränderte sich.«
    Lellas Augen leuchteten auf, ihre Augenbrauen schnellten in die Höhe, und ihre rosa Lippen zogen sich herrlich breit. Andächtig sagte sie: »Und alles ging los, und du wurdest zu dem langhaarigen Typ auf dem anderen Foto.«
    Ich hob mein Glas und prostete Lella zu.
    »Ja, dann ging es endlich los! Ich fühlte mich so toll mit meinen langen Haaren und sah doch einfach nur verboten aus.« Sie durfte lachen, grinsen, meinetwegen auch über mich. Ich hätte gerne mit beiden Armen über den Tisch gegriffen, ihr Gesicht in die Hand genommen und ihren Mund geküsst.
    Vielleicht ahnte sie meine Gedanken, denn plötzlich fragte sie: »Weiß Brigida von dieser Zeit?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«, bohrte sie.
    »Einfach nein.«
    »Aber sie weiß, dass du nicht riechen kannst.«
    »Nein.«
    »Aha.« Sie schloss dabei die Augen, und dann lächelte sie. Ich hatte mich vertan, sie konnte mit diesem Mund gar nicht grinsen.
    »Sie weiß auch nicht von der Freundin, die ich dann sieben Jahre lang hatte.«
    »Das verstehe ich. Sizilianerinnen sind viel eifersüchtiger als Deutsche!«
    »Auch. Aber in diesem Fall ist dies nicht der Grund. Inga war lieb, sie mochte mich trotz meiner Idiotenfrisur, und ich hatte ja auch eine Menge nachzuholen.«

    Lella kicherte. Ich wünschte, sie würde nie damit aufhören.
    »Inga war... Nein, sie war nur zu langweilig, um sie vor Brigida zu erwähnen. Ich habe bei ihrem Vater im Fotoladen gearbeitet, und wir wohnten im

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