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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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teure.
    »Warst du eben drüben bei mir?!«
    Ich guckte ihn nicht an. Er drückte mir den Joghurt so heftig in die Hand, dass etwas überschwappte, griff nach dem Rollerschlüssel, der auf dem Tisch lag, und verschwand. Die Tür nebenan schlug zu, Stille. Nur ein einsamer Klecks Erdbeerjoghurt blieb auf dem Boden zurück.
    Ich legte mich neben Matilde aufs Bett und wartete, bis ich meinen Herzschlag wieder in der Brust und nicht mehr im Hals fühlte.
    Er hatte sie nackt fotografiert. Warum nicht? Das durfte er, sie war ja seine Freundin, bald sogar seine Frau. Warum war ich nicht sofort wieder aus seiner Küche hinausgegangen? Selber schuld, nun hatte ich ihren breiten Mund vor mir, ihre triumphierenden Katzenaugen, Ausschnitte von ihrem Hintern. Von der Seite, von oben. Auch ihren Busen. Dio, zweimal so groß wie meiner. Und dann das Bild vor dem Kühlschrank. Nackt, mit nasser Haut, aufgestellten Brustwarzen und einer Flasche Sahne oder so was in der Hand, schaut sie selbstbewusst und doch unbeteiligt in seine
Linse. Sie strahlte etwas Raubtierhaftes, Elegantes, Geringschätziges aus.
    Jetzt erinnerte ich mich an die Lupe, die neben den Abzügen gelegen hatte. So ein eckiges Profi-Ding mit Beleuchtung. Er war so verliebt in sie, er hatte sich jede einzelne ihrer Hautporen angeschaut.
    Nebenan hörte ich wieder die Tür. Ich setzte mich hastig auf. Doch wenig später röhrte der Motorroller auf und fuhr an unserem Haus vorbei. Die Geräuschfahne wehte immer weiter den Berg hinauf, beschrieb große Bögen, bis sie erstarb.
    Schluss! Ich zwang mich aufzustehen. Es war an der Zeit, vernünftige Pläne zu entwerfen und Ideen zu sammeln, statt über Brigidas Brüste nachzudenken.
    Papiere Matilde?, schrieb ich als ersten Punkt auf ein Blatt von Matildes Malblock.
    Italien verlassen - wie?
    Amt?
    Job?
    Wohnen? Susa?
    Geld?
    Kindergarten?
    Sprache?
    Das waren keine Ideen, das war eine Anhäufung von Schwierigkeiten. Ich knüllte das Blatt zusammen und schmiss es in den Müll.
    Den Rest des Nachmittags verbrachte ich damit, Matilde zu duschen, vorsichtig, damit ihr Kopf nicht nass wurde, und ihr das Haar zu schneiden. Ich war keine Meisterin, aber einen geraden Pony, eine gerade Kante bekam ich hin. Ich ließ meine Haarschneideschere, die zufällig in meinem
Kosmetikbeutel mit auf die Reise gegangen war, nachdenklich auf und zu schnappen. Wo war er jetzt, telefonierten sie miteinander? Dachte er oft an sie? Und was dachte er über mich?
    Seufzend nahm ich Matilde den leichten Gazeverband ab. Die Wunde war in den letzten Tagen immer mehr eingetrocknet, von stoppeliger Kopfhaut umgeben, welkte sie schorfig-violett dahin. Matilde und ich beschlossen, die restlichen Haare auf Schulterlänge zu kürzen.
    »Die neuen Haare werden wachsen, lang und immer länger und ganz schnell wieder so lang wie die restlichen Haare. Und wenn dann alles ganz verheilt ist, können wir die Haare von den Seiten auch darüberkämmen. Fühl mal, man wird es gar nicht merken«, sagte ich, während ich die abgeschnittenen Strähnen schnell mit dem Fuß unter das Bett schob.
    Mit aufgerissenen Augen betastete Matilde ihren Hinterkopf. Ich hielt die Luft an.
    »Du kannst die Haare ruhig wegschmeißen, die brauche ich ja nicht mehr. Und jetzt will ich malen!« Erleichtert atmete ich aus und reichte ihr die Buntstifte. Ich kehrte die Haare zusammen und warf sie in den Mülleimer.
    »Der König trägt seine Krone nicht, sie liegt da unten auf dem Boden. Der König heißt Phil und hat sich wehgetan am Kopf. Der Arme«, murmelte sie. Die Krone lag wie ein hinuntergefallener Heiligenschein in der rechten Ecke des Bildes. Ich lachte Matilde zu, doch mir war flau im Magen.
    Wie ein hysterisches Huhn war ich aus Phils Appartement gerannt. Durch meine dumme Eifersucht hatte ich die Tage unseres stillen Übereinkommens abrupt unterbrochen. Ich musste raus, den Himmel sehen, beim Anblick des Meeres meine Gedanken ordnen und beruhigen.

    »Ich gehe mal kurz nach draußen«, sagte ich zu Matilde.
    »Wann ist ›mal kurz‹ vorbei?«
    »Mal kurz ist vorbei, bevor du dich fragst: ›Wo ist denn eigentlich die Lella?‹«
    Sie nickte und malte sich selbst mit wallend dunklem Haar neben König Phil.
    Ich trat hinaus an die Bank mit den hübschen Fliesen. Der Wind wehte immer noch stark, aber der weite Blick auf das Wasser mit seinen Wellen und Schaumkronen verfehlte seine Wirkung nicht. Es gelang mir, die Gedanken an Phil beiseitezuschieben. Ein Schritt nach dem anderen,

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