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Das Loch in der Schwarte

Das Loch in der Schwarte

Titel: Das Loch in der Schwarte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Katze, wenn er versuchte zu bellen, seine Ehefrau war mit einem olivhäutigen Tauchlehrer nach Ägypten gezogen und schrieb dort mit diesem an einem Buch über die Meeresbiologie vor Sharm el Sheik sowie einen Brief an Emanuels Anwalt, der alles daransetzte, dessen private Finanzen zu ruinieren. Viele der Kneipenbesucher, die bereits jahrelang seinem Jammern hatten lauschen müssen, versuchten verärgert zu protestieren. Emanuels Leben war im Vergleich mit ihrem ein Traum. Er hatte Arbeit und eine Wohnung, ihnen selbst war es nie gelungen, überhaupt zu heiraten, das Leben hatte sie nur höhnisch angegrinst seit jener Zeit, als die Hebamme sie im Kreißsaal mit kaltem Wasser abwusch, und das hielt an bis zum heutigen Tag, an dem sie hier saßen und nicht einmal genug Geld hatten, um sich noch ein lächerliches Bier zu bestellen.
    Emanuel kratzte sich an seinem Ekzem im linken Ohr und überlegte, ob es sich vielleicht zu einem Tumor entwickeln könnte. Anschließend orderte er Bier für seine Leidensgenossen und bestellte sich gleichzeitig ein belegtes Brot. Er bekam ein leckeres Schwarzbrot mit Pfeffersalami, sonnengetrockneten Tomaten in Öl sowie Kapern und wollte sogleich seine Zähne in den Leckerbissen versenken. Doch dann rutschte es ihm geradezu mit einem Ruck aus der Hand und fiel zu Boden.
    Mit der belegten Seite nach unten.
    »Murphys Gesetz«, sagte ein fetter, nach Schweiß stinkender Philosophiestudent, der durch sämtliche Herbstprüfungen mit Ausnahme der Metaphysik durchgerasselt war.
    »Wessen Gesetz?«, fragte Emanuel resigniert nach.
    »Murphys«, wiederholte der Student. »Alles, was schief gehen kann, geht auch schief.«
    Emanuel saß unbeweglich da, während die Kellnerin die Scheibe aufwischte und ihm die Rechnung gab.
    »Noch eine«, bat er mit finsterer Miene.
    Sogleich hatte er ein neues Brot in der Hand, dieses Mal eine Scheibe Weißbrot mit Roastbeef, cremiger Mayonnaise und einem Petersilienzweig. Mit unergründlichem Blick streckte er die Leckerei weit von sich, schloss die Augen und ließ sie fallen. Auch dieses Mal landete sie mit der Butterseite zuunterst auf dem klebrigen Steinboden voller Straßendreck. Die erstaunten Gäste sahen mit wachsender Verwunderung, wie er bezahlte und sich anschließend ein drittes, viertes und fünftes Brot bestellte. Alle ließ er in gleicher Weise zu Boden fallen, und alle fielen mit der belegten Seite nach unten.
    »Hm«, sagte Emanuel.
    »Idiot!«, rief die Kellnerin aus.
    Der Philosophiestudent leerte schnell seinen Krug und schlurfte nach Hause, schlecht gelaunt und bar jedes Wissens darüber, dass er soeben der Geburt eines deterministischphysikalischen Wissenszweiges beigewohnt hatte und dass ihm soeben ein Bier von einem der sagenumwobensten Forscheroriginale des kommenden Jahrzehnts spendiert worden war.
    Am nächsten Morgen erschien Emanuel rechtzeitig zur Arbeit, was so selten geschah, dass seine Kollegen glaubten, er hätte vergessen, seine Uhr auf die Winterzeit umzustellen. Er setzte sich an seinen Schreibtisch im Institut für Angewandte Physik und dachte eine Weile nach. Dann rief er die Partikelforscher bei CERN in der Schweiz an und bat sie, ihm die Fotos aller Beschleunigungsversuche zu schikken, bei denen etwas schief gegangen war. Sie baten ihn umgehend, sich zum Teufel zu scheren. Er rief noch einmal an, wiederholte höflich sein Begehren und bekam die gleiche Antwort, doch dieses Mal schärfer formuliert. Nach Tagen missglückter Ermahnungen auf allen Ebenen änderte er seine Strategie. Er nahm Kontakt zu einer Gebäudereinigungsfirma in Zürich auf, gab sich als Leiter einer regionalen Recyclinggesellschaft aus und erklärte sich bereit, den Inhalt der Papierkörbe sämtlicher CERN-Forscher aufzukaufen. Dieses Mal klappte es besser, und bald konnte er die zerknüllten Bögen Hunderter von Dunkelkammerfotos glatt streichen, bei denen das Kernspaltungsexperiment schief gegangen war. Es gab Fotos von Protonen, die aus der Bahn gekommen waren, von Elektronen, die herumschwirrten, es gab Kontaminierungen und einen Deckel, der nicht fest saß, mal war die Voltzahl zu niedrig, oder das Papier war verrutscht, und einmal hatte einer der Forscher Kaffee über die gesamten Unterlagen verschüttet.
    »Perfekt«, sagte Emanuel und begann die Bögen mit der Lupe zu untersuchen.
    Als der Monat vergangen war, war er sich sicher. Der Beweis war eindeutig. Er lehnte sich auf seinem Schreibtischstuhl zurück. Die Rückenlehne knackte bedrohlich,

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