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Das Loch in der Schwarte

Das Loch in der Schwarte

Titel: Das Loch in der Schwarte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Universums lesen.
    Es stellte sich heraus, dass die Steinplatten vom Schrottmarkt Briefe waren. Sehr kurze Briefe. Auf der ersten stand ganz einfach:
    »Wir wollen bessere Programme haben.«
    Verwundert fuhren die Forscher mit den anderen Platten fort:
    »Mehr Spannung und mehr Spielfilme.«
    »Sendungen über Liebe und darüber, enttäuscht zu werden.«
    »Gebt uns bessere Filme, sonst geben wir keine Rinde mehr heraus.«
    Und so ging es immer weiter. Die Steinbriefe vom Azepiplaneten mussten offenbar mit irgendwelchen sie aufsuchenden Raumschiffen fortgeschickt worden sein. Ihre Schreiber mussten Kontakt zu deutlich höher entwickelten Kulturen gehabt haben, die in irgendeiner Form Unterhaltungsprogramme gegen eine Art wertvoller Rinde tauschten. Die Steinplatten waren dem Supernovaknall entgangen, weil sie außerhalb des Sonnensystems geschickt worden waren, es ist zu vermuten, in eine Art staatliches Archiv. Mit der Zeit war das Archiv verfallen und waren die Steinplatten verkauft worden, um schließlich auf dem Schrotthändlermarkt zu landen. Und hier waren sie also, die letzten existierenden Reste der archaischen Azepikultur.
    Mit Hilfe der Briefübersetzungen konnte man sich jetzt endlich auch an Tudors Abschriften der alten Grabplatten machen, jetzt wurde es heikler. Aber nach großen Anstrengungen der besten linguistischen Experten und hochintelligenter Sprachcomputer gelang es, folgende Mitteilung zu entschlüsseln. Diese Zeilen waren es, die man in den mongolesischen Grabkammern gefunden und durch eine lange Serie außergewöhnlicher Zufälle der Umwelt hatte bewahren können:
    Leere Därme schlagen den Blinden.
    Fliegen essen alte Füße.
    Schädel voller Rinde und Tränen.
    Mama bohrt in deinem Ohr.
    Und auf der allerletzten Steinplatte stand kurz und gut:
    Wer das liest, ist doof.
    Ähäm, sozusagen. Ameisen im Kopf der Akademiker. Nach dem ersten peinlichen Schweigen legte man vorsichtige Interpretationsversuche vor. Ein glatzköpfiger Professor emeritus nahm an, es handle sich um Perversitäten. Die Grabkammern selbst seien offenbar makabre Puffs gewesen. Eine zerknitterte Etymologin protestierte und schlug vor, dass es sich um groteske Hinrichtungsmethoden handeln könne, die an eben die erinnerte, welcher der unglückliche Hacker zum Opfer gefallen war. Eine der jüngeren weiblichen Linguisten stand daraufhin auf, klopfte mit dem Zeigefingernagel auf den Tisch und bedankte sich bei allen alten Knackern, die das Naheliegende nicht sahen. Dass es sich natürlich um Poesie handelte. Eine volkstümliche, ursprüngliche Poesieform mit Bezug zu Sprichwörtern und alten Redewendungen, in einer Tradition zu sehen mit der Kalevala oder der isländischen Edda.
    Der Enthusiasmus eines Linguisten und ihre jugendliche Energie verschafften ihr mit der Zeit eine große Anhängerschar und brachte so einige Schriftsteller dazu, primitivistische Azepipoesie zu schreiben. Es war eine romantische Suche nach den Erzählerwurzeln in unserem Universum gleich nach dem Big Bang, als die Sprache noch frisch und feucht war und sich immer noch kneten ließ.
    Tatsächlich kam niemand auf die richtige Antwort. Ich habe ja gesagt, dass du mir nie glauben wirst. Die ältesten noch erhaltenen Texte der Welt, also die Inschriften aus den mongolesischen Grabkammern – waren also – jetzt kommt es, jetzt wird das Geheimnis gelüftet.
    Es waren die Titel der populärsten Fernsehserien dieser Zeit. Die Höhlen waren also keineswegs Grabkammern, sondern beherbergten das hoch geschätzte Fernseharchiv der Azepikultur. Unter jeder Steinplatte lagen binär komprimierte Videoaufnahmen der bis zu zweihundert Folgen, die jede Serie zu haben pflegte. »Wer das liest, ist doof« war übrigens die populärste Serie überhaupt, sie handelte von einer Rindengewinnungsfirma mit vielen Intrigen, Untreue und einer gehörigen Portion an Humor um den vom Pech verfolgten Junggesellen Pau, der gern heiraten wollte, und seiner dominanten Frau Mutter. Es gab einen ziemlichen Aufstand, als die Serie eingestellt wurde, die Azepier protestierten und drohten damit, keine Rinde mehr an Außerirdische zu verkaufen, sie stellten ihre Forderungen in den Steinbriefen auf, die damals auf dem Schrotthändlermarkt gefunden worden waren. Als eine Verhandlungsdelegation mit fünfzig neu gedrehten Folgen über Pau landete, war die Stimmung bereits so aufgeheizt, dass das Raumschiff gestürmt und sämtliche Fremden erschlagen wurden. Bei dem Tumult wurden die

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