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Das Loch in der Schwarte

Das Loch in der Schwarte

Titel: Das Loch in der Schwarte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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lassen, bis einer nach dem anderen aus Altersgründen dahinschied.
    Doch dann geschah etwas. Nach acht Jahren, neun Monaten und vierzehn Tagen wachte Adrienne plötzlich auf. Es geschah frühmorgens. Ein kleiner Schwimmer hatte sich vom Grunde des Ozeans gelöst, ein Korkschwimmer, der langsam nach oben stieg und nach unendlich langer Zeit im Dunkel der Wassermassen die Meeresoberfläche mit einem leisen Plopp durchbrach.
    Adrienne war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als ein Skelett. Die Muskeln waren so geschrumpft, dass sie nicht einmal die Augenlider öffnen konnte. Es waren die Elektroden, die den Alarm aktivierten, nur dank der EEG-Wellen wurde überhaupt bemerkt, dass sie in einen wachen Zustand eingetreten war. Der Dienst habende Arzt kam sofort angelaufen, und man holte umgehend die fähigsten Krankengymnasten.
    Es dauerte vier Wochen, bevor sie überhaupt kommunizieren konnte. Ihre Lippen bewegten sich nur zu einem schwachen Flüstern, jeweils für ganz kurze Momente. Die Direktion wurde zusammengerufen. Und Stück für Stück, mit langen Unterbrechungen, bekam man ihren Bericht zu hören.
    Der Himmel war jetzt fertig. Das war ihre Botschaft an die Menschheit. Sie und ihre Freunde in Oz hatten den Himmel vollendet, es hatte so lange gedauert, weil er so unglaublich groß war. Außerdem war man gezwungen gewesen, zu vielen verzwickten Fragen Stellung zu nehmen. Was ist eigentlich Schönheit? Wie bewertet man die unterschiedlichen Gelbtöne? Gibt es Glück, wenn wir den Schmerz ausmerzen? Wollen wir Insekten haben? Hat das Karma einen Schatten? Sind Tiere glücklicher als Menschen? Was machen wir mit Jimi Hendrix?
    »Und György?«, fragten die Ärzte. »Was ist mit György passiert?«
    »Er kommt nicht zurück.«
    »Was habt ihr mit ihm gemacht? Seine Angehörigen fragen nach ihm.«
    Adrienne schloss für lange Zeit ihre trockenen Lippen. Dann flüsterte sie:
    »Man will dort bleiben, versteht ihr das nicht? Es ist vollendet. Ihr könnt jetzt dorthin kommen, alle. Um euch das zu sagen, bin ich hergekommen.«
    Dann bat sie, Györgys Respirator abzuschalten. Nur ein paar Sekunden lang, zur Probe. Nach einigem Zögern tat man das und kontrollierte alle physischen und mentalen Reflexe. Ein beunruhigtes Gemurmel erhob sich in der Gruppe.
    »György ist tot!«
    Adrienne lachte und hustete ganz vorsichtig.
    »Aha«, sagte sie dann.
    »Was habt ihr gemacht?«, rief der Oberarzt aus, der György einst eingestellt hatte. »Ihr habt ihn getötet!«
    Er hätte sich an Adrienne vergriffen, wenn die Kollegen ihn nicht zurückgehalten hätten. Sie selbst lächelte erleichtert, fast glücklich.
    »Es funktioniert«, flüsterte sie. »Danke …«
    Die Ärzte koppelten Györgys Körper wieder an den Respirator an, um drohende juristische Verwicklungen zu verhindern. Adrienne wurde es verboten, sich erneut einschläfern zu lassen, bevor sie wieder bei Kräften war. Sie wurde so gut es ging vom übrigen Rutvik isoliert, bekam Privatstunden in Sport und in der Kantine, um mit ihrem ausgemergelten Körper keine Unruhe unter den Gästen aufkommen zu lassen. Trotzdem waren die Gerüchte schnell im Umlauf. Chartertouristen, die eine Woche Action oder Romantik erlebt hatten, unterhielten sich miteinander, während sie im Shuttleterminal auf den Heimtransport warteten. Entspannte und aufgedrehte Passagiere, voller Eindrücke.
    »Hast du gehört, dass von einem Ewigkeitsspiel geredet wurde?«
    »Wovon?«
    »Es wird behauptet, dass es stimmt. Eine Gruppe, die jahrelang weg war.«
    »Ach, hör auf!«
    »Nirwana heißt es. Man erlangt dort das ewige Leben.«
    »Würdest du das versuchen wollen?«
    »Stell dir vor, das ewige Leben. Wenn das wirklich funktioniert! Der eigene Körper stirbt, aber die Seele bleibt für immer im Spiel!«
    Wenn in einer Branche ein Gerücht sich schnell verbreitet, dann in der Unterhaltungsindustrie. Binnen kurzer Zeit prasselten die Emails auf Rutvik ein, in denen nach Nirwana gefragt wurde. Die Direktion leugnete jedoch jedes Wissen über irgendeine Form von Ewigkeitsspiel. Adrienne wurde in dieser Zeit so gut es ging abgeschirmt, dennoch gelang es ihr, einen Brief an die Presse hinauszuschmuggeln, in dem sie frank und frei die ganze Geschichte aufdeckte. Die Direktion gab sofort ein Dementi heraus und behauptete, der Brief sei eine Fälschung. Nach knapp drei Monaten wurde entschieden, dass Adrienne in der Lage für eine neue Spielrunde sei, und mit großer Erleichterung legte man sie in die Wiege und ließ

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