Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Loch in der Schwarte

Das Loch in der Schwarte

Titel: Das Loch in der Schwarte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
Vom Netzwerk:
einmal gesehen hätten. Lourdes stand da und filmte, wie Adrienne ihren Strauß weißer Nelken auf den polierten Mahagonisarg legte, zwei Aufnahmen. Beim ersten Mal latschte ein Bodyguard ins Bild. Als die Zeremonie vorüber war, wurde sie von drängelnden Reportern umringt, konnte sich aber in eine schwarze Limousine retten. Ein scharfäugiger Herr mit Vogelhals und einem riesigen Adamsapfel öffnete seine Brieftasche.
    »Ich bin der Anwalt deines Vaters«, erklärte er. »Du bist jetzt eine sehr reiche Frau.«
    Während der Ausbildung zur Filmwissenschaftlerin hörte sie zum ersten Mal von Rutvik. Rutvik, dieser Name, der bei allen, die schon dort gewesen sind, eine Welle wonnigen Kribbelns durch den Körper schickt.
    Es ist tatsächlich möglich, Rutvik mit bloßem Auge zu sehen. Kurz nach Sonnenuntergang kann man ihn als einen lichtstarken Stern beobachten, der direkt über dem Horizont schwebt. Durch ein Fernrohr gesehen, macht er einen viereckigen Eindruck, ein weißes kleines Fenster am Abendhimmel. Das kommt von den enormen Sonnensegeln, mehrere Quadratkilometer glänzendes Silber. Die Station selbst ruht wie ein Kokon in deren Mitte, ein brauner, glühender kleiner Zigarrenstummel, von groben schwarzen Elektrokabeln perforiert. Aus der Nähe sieht man die Andockstationen mit ihren lippenförmigen Saugrohren und die hektisch patrouillierenden Polizeischiffe.
    Sobald man mit dem Shuttle angekommen ist, wird man durch das transparente Saugrohr hereingesogen. Ein letztes Mal kann man auf die Erde blikken, die schön vor dem schwarzen Sternenhimmel glänzt, auf die Wolkenbänder, die sich über Äquatorialafrika zusammenballen.
    Wenn man eine Welt gewählt hat, darf man sich in eine automatische Massagewiege legen, konstruiert, um einem langfristig unbeweglichen Körper physische Aktivität zu geben. Ein Tropf wird angeschlossen, ein Bildschirmhelm über den Schädel gezogen, und man zwängt sich in einen Körperhandschuh mit Millionen kleiner Elektrosensoren. Und dann schaltet sich der Himmel wie ein warmes, schönes Geschenk ein. Man ist mitten im Gelage. Man wird von ihm umgeben.
    Es ist ein Traum, der verwirklicht wird. Jeder von uns hat sicher ab und zu mit dem Gedanken gespielt, sich vorgestellt, man könnte jemand anderes sein. Eine bessere, schönere Person. Eine begabtere, bewunderte Person. Und hier geschieht das Unmögliche. Erstaunt betrachtet man seinen Körper. Die unerwartet muskulösen Unterarme, die behaarten Gelenke, die den Schaft eines Gladiatorenschwerts umklammern.
    Oder der Unterleib, der bis dato der einer Frau war, an dem sich plötzlich ein Knäuel befindet, eine warme Faust, und wie man dann mit leichtem Schwindel einsehen muss, dass man einen Penis hat, einen momentan weichen, zusammengerollten Penis mit zwei Fleischbällen, zwei schön prickelnden Hoden.
    Oder man spürt, wie die eigene runzlige Altmännerstirn sich glättet, fühlt, wie die kahlen Geheimratsecken wieder zuwachsen und dichtes, wallendes blondes Frauenhaar sich über die Schultern ringelt. Die Füße krümmen sich in einem Paar silberfarbener Sandaletten, und man greift nach dem Mikrofon vor Tausenden von hingerissenen Soldaten, und die Stimme ist sanft und sexy wie die einer Miezekatze, während man singt:
    »Diamonds are a girl’s best friend …«
    Einige der Filmwissenschaftler hatten zugegeben, dass sie in Rutvik gewesen waren, und deren Berichte faszinierten alle aufs Tiefste. Bald bildete sich eine Gruppe Interessierter, die beschloss, dorthin zu reisen. Man bezeichnete sich selbst als Gruppe Oz. Man saß um den Cafétisch und diskutierte eifrig die Grenzen des Bewusstseins, was wirklich als Wirklichkeit zu bezeichnen war und wie man den Unterschied zwischen Film und Traum definieren sollte. Sie fanden einander in ihrer Sehnsucht nach Nähe, wie sie es ausdrückten. Einer höheren Farbe im Leben.
    Sobald die Ausbildung beendet war, begaben sich acht von ihnen zum Rutvikterminal, schnallten sich im Transportshuttle fest und wurden ins Unbekannte hinausgehoben.
    Zwei Wochen später wurden sie aus ihren Spielerlebnissen geweckt, hingerissen und verwirrt. Keiner wollte aussteigen. Adrienne bat das Charterpersonal um ein Satellitentelefon, führte ein paar Gespräche mit der Erde und transferierte eine neue Summe Geld. Die Spielmenüs wurden hervorgeholt, und alle acht von Oz wählten neue Welten. Sie schauten einander an, lächelten und verschwanden dann wieder in der Versenkung.
    Als sie das nächste Mal

Weitere Kostenlose Bücher