Das Locken der Sirene (German Edition)
ist nur: Willst du?“
Sie packte die Gürtelschlaufen und zog ihn noch näher an sich heran, bis seine Lenden sich gegen die Innenseiten ihrer Oberschenkel drückten. Sie wusste, sie durfte das hier eigentlich nicht tun. Aber Wesley war für sie ein steter Quell der Frustration. Manchmal musste sie einfach Vergeltung üben. Und sie wusste, dass er ab und zu vergaß, was sie in Wahrheit war. Es konnte nicht schaden, ihn daran zu erinnern.
„Ich weiß nicht“, antwortete er schließlich.
„Nun, das ist für deine Verhältnisse geradezu erfrischend aufrichtig. Da wir gerade so ehrlich zueinander sind, verrate mir doch bitte, warum du Zach gegenüber so zickig bist.“
Wesley riss die Augen auf. Nora biss sich auf die Unterlippe und wartete auf seine Antwort.
„Du magst ihn.“
„Ich mag ihn tatsächlich.“ Sie nahm noch einen großen Schluck Wein und stellte das Glas zurück auf den Tisch. „Aber wir haben uns gerade erst kennengelernt, und wir ficken nicht. Nicht einmal ich presche so schnell vor.“
Bei dieser Bemerkung lachte Wesley verbittert auf und schaute zur Decke. „Es ist mir vollkommen egal, ob du ihn fickst.“
„Mein Gott, hast du gerade ‚ficken‘ gesagt? Du bist doch so ein guter, anständiger Methodist! Du fluchst nicht.“
„Du hast ja keine Ahnung, was ich tue.“
„Ich weiß genau, was du tust. Ich weiß, dass du mit unverschlossener Schlafzimmertür schläfst“, gab Nora zurück. „Erwartest du Besuch?“
„Ich weiß, dass du nachts in meiner Tür stehst und mir beim Schlafen zusiehst. Erwartest du eine Einladung?“
Jetzt war es Nora, die überrascht dreinschaute. Aber sie erholte sich schnell von ihrem Schreck. „Für einen Anfänger bist du ziemlich gut in diesem Spiel“, bemerkte sie und nickte anerkennend.
„Ich habe es doch schon gesagt: Ich spiele dein Spiel nicht mit.“
„Zu schade. Ich glaube, der Hauptgewinn würde dir gefallen.“ Nora wollte den nächsten Knopf seiner Jeans öffnen, aber Wesley packte ihr Handgelenk, um sie daran zu hindern.
„Härter“, wies sie ihn an. Daraufhin ließ Wesley von ihr ab, als habe er sich an ihrer Haut verbrannt.
„Das habe ich mir gedacht. Geh schon“, sagte sie und ließ die Hände sinken. Wesley machte einen Schritt nach hinten, die Handflächen auf seinen Bauch gedrückt. „Geh, und mach deine Hausaufgaben, Kleiner.“
Sie nahm das fast vergessene Weinglas und hob es an die Lippen. Bevor sie jedoch trinken konnte, nahm Wesley es ihr ab.
Er hielt das Glas in seiner leicht zitternden Hand, ehe er es an seine Lippen hob und trank. Als er fertig war, stellte er es neben sie auf den Tisch und verließ die Küche ohne ein Wort.
Nora nahm das Glas.
Er hatte es bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken.
Sie stellte das Glas auf den Tisch und überlegte, Wesley nachzugehen. Sie hasste es, wenn sie sich stritten, obwohl es meistens ihre Schuld war.
Wesley würde schon klarkommen, sagte sie sich. Ein wenig Abhärtung konnte ihm nicht schaden. Nie würde sie den Tag vergessen, an dem sie sich das erste Mal begegnet waren. Sie hatte sein Klassenzimmer an der Yorke betreten, und das Erste, was ihr auffiel, war ein Paar großer brauner Augen, das sie anschaute, als hätte es noch nie zuvor jemanden wie sie gesehen. In dem Moment, in dem er den Mund öffnete und diese geschliffenen, von seiner Südstaatenherkunft geprägten Silben über seine Lippen kamen, hatte sie gewusst, dass er sie in grenzenlose Schwierigkeiten bringen konnte. Sie hatte ihre Studenten ermutigt, über ihre Lieblingsgeschichten zu sprechen. Wesley erzählte, seine Lieblingsgeschichte sei O. Henrys „Das Geschenk der Weisen“ – die Geschichte einer Frau, die ihr Haar verkauft, um ihrem Mann eine Uhrenkette zu kaufen, während er seine Uhr verkauft, um seiner Frau Kämme für ihr Haar zu schenken. Nora fand, die Geschichte grenze an Horror, wogegen Wesley widersprochen und behauptet hatte, es handle sich um eine Liebesgeschichte. Diese Diskussion hatten sie nach der Vorlesung fortgesetzt. „Zwei Menschen, die ihre wertvollsten Besitztümer aus Liebe hergeben und mit nichts dastehen – das soll eine Liebesgeschichte sein“, hatte sie ihn herausgefordert. Wesley hatte argumentiert, dass sie immer noch einander hätten. Sie hatte ihn ausgelacht und ihm erklärt, er werde die Sache bestimmt anders sehen, wenn er erst mal in ihrem Alter wäre.
Sie wusste, sie war heute Abend zu grob zu ihm gewesen. Aber manchmal konnte sie einfach nicht anders.
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