Das Locken der Sirene (German Edition)
Ihr Körper war einst für ihn immer so offen gewesen. Aber ihr Geist? Ihr Herz?
Zach schüttelte den Kopf und versuchte sich aus der gefährlichen Träumerei zu reißen. Grace, die er unzählige Male geliebt hatte, sagte ihm nichts. Nora hingegen, die er noch nicht einmal berührt hatte, sagte ihm alles.
Einer Eingebung folgend verkleinerte er das Dokument auf dem Desktop und rief Google auf. Nora warf mit SM-Begriffen um sich wie ein Arzt mit exotischen Krankheiten. Er war nicht vollkommen ahnungslos, wenn es um Fetisch ging. Eine ehemalige Geliebte hatte ihn sogar einmal beschuldigt, pervers zu sein, weil er andere Stellungen der Missionarsstellung vorzog. Er wusste jedenfalls, was SM hieß – Sadomasochismus. Er wusste, die Franzosen nannten es
das englische Laster
, weil seine Landsleute eine amüsante Schwäche für körperliche Bestrafung hatten. Er nicht. Er versuchte es, wenn möglich, zu vermeiden, Schmerz auszuteilen oder zu empfangen. Er war bekannt dafür, während des Liebesakts manchmal zu beißen – etwas, das Grace zu seinem Erstaunen sehr genossen hatte –, aber tatsächlich jemanden zu züchtigen oder zu schlagen war ihm vollkommen fremd.
Nachdem sie für den Tag mit der Arbeit an ihrem Buch fertig gewesen waren, hatte Zach den Mut aufgebracht, Nora nach Søren zu fragen, ihren früheren Liebhaber. Sie sprach über ihn mit der verträumten Traurigkeit eines Ritters, der von seinem gefallenen König erzählt. Sie sagte, die beiden seien ein D/s-Paar gewesen wie William und Caroline in ihrem Buch. Jahrelang war sie an ihn gefesselt gewesen, und ihn schließlich zu verlassen hatte sich angefühlt, als müsse sie sterben.
Zach tippte
D-S-Paar
ins Suchfeld und erkannte rasch, dass er den Begriff unwillkürlich falsch geschrieben hatte. Man schrieb es D/s, und der Begriff stand für Dominanz und Submission. Interessant war, dass das D zwar groß geschrieben wurde, das S aber immer klein, um zu verdeutlichen, dass der Submissive in der Beziehung den niedrigeren Status innehatte. Die ganze Sache wirkte auf ihn ziemlich merkwürdig und sexistisch, aber es war nicht zu leugnen, dass es da draußen ziemlich viele submissive Männer zu geben schien, denen eine Reihe beeindruckend aussehender weiblicher Dominas gegenüberstand. Er konnte sich nicht vorstellen, wie eine so lebhafte Frau wie Nora damit zufrieden sein konnte, brav zu Füßen eines Mannes zu sitzen. Er konnte nur vermuten, dass dieser Mann, also dieser Søren, ein ziemlich beeindruckender Zeitgenosse war. Er fragte sich auch, womit Søren wohl sein Geld verdiente. Vermutlich mit etwas, das zu einem Alphamann wie ihm passte – Pilot oder Offizier beim Militär. Vielleicht war er aber auch einfach nur reich und unabhängig, wie Nora es zu sein schien. Irgendetwas ermöglichte ihr jedenfalls einen beeindruckenden Lebensstandard. Sie fuhr einen ziemlich neuen schwarzen Lexus mit einem frechen Nummernschild, auf dem
Say Ouch
stand, und sie lebte in einem eleganten historischen Haus. Er kannte Autoren in England, die viele Preise gewonnen und mehr als ein Dutzend Bücher geschrieben hatten und sich trotzdem kein Haus wie dieses oder eine ähnlich exklusive Nachbarschaft leisten konnten.
Die Neugier siegte über die Vernunft, und Zach tippte jetzt doch
Nora Sutherlin
ins Suchfeld und drückte Enter. Er fand einige Fanseiten, Links zu Fanfiction sowie Noras offizielle Homepage. Zach scrollte weiter durch die Suchergebnisse. Er stieß auf einen Link zu einem Blog, in dem jemand einen Eintrag mit der Überschrift
Die letzte Nacht mit
der
Nora Sutherlin
gepostet hatte. Aber sobald Zach auf den Link klickte, verschwand die Seite. Er ging zurück zu den Suchergebnissen, doch die Seite blieb verschwunden. Vielleicht war der Server abgestürzt.
Zach gab es auf, hinter Nora herzuschnüffeln, und suchte nach mehr SM-Begriffen. Auch wenn die Vorstellung, Schmerz und Lust zu vereinen, für ihn unangenehm war, merkte er schon nach kurzer Zeit, dass die Menschen in dieser Gemeinschaft einen ziemlich verantwortungsbewussten Umgang mit ihrem Spiel betrieben. Auf jeder Seite, die er besuchte, stand an prominenter Stelle der Hinweis:
sicher, geschützt und in gegenseitigem Einvernehmen
. Er starrte lange Zeit auf das Bild einer jungen Frau, die ein braunes Lederhalsband trug, das eng an ihrem Hals anlag und fest verschlossen war. Jetzt erinnerte er sich auch wieder, dass Nora ihm erzählt hatte, sie sei mit einem Halsband an Søren gefesselt gewesen. Halsbänder
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