Das Locken der Sirene (German Edition)
werde bei ihm ein paar Stunden Schlaf tanken.“
„Keine Aufputschmittel, verstanden?“, ermahnte er sie. „Den Schauspielern, die den Hamlet mimen, sagt man immer, sie sollen zölibatär leben, damit sie nicht ihre Performance ruinieren.“
Nora schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Plötzlich wirkte sie nicht mehr müde oder besorgt. Sie sah wild, wunderschön und sehr lebendig aus.
„Zölibatär, Zach? Sie wissen aber schon, wer ich bin?“
Zach lachte immer noch, als sie sein Büro längst verlassen hatte. Er schaute auf. J. P. stand in der Tür.
„Wo bleibt der Vertrag?“, fragte J. P.
Zach blickte seinen Chef an. „Ich glaube, ich behalte ihn noch ein Weilchen“, sagte er etwas verlegen.
„Und sie?“
Zach griff unter seinen Schreibtisch und zog Noras Manuskript aus dem Papierkorb.
„Ich glaube, sie behalte ich auch noch ein wenig.“
Nora parkte vor Kingsleys Stadthaus und trat, ohne anzuklopfen, ein. Sie meldete sich lediglich bei Juliette, Kingsleys wunderschöner haitianischer Sekretärin, an. Juliette war neben Nora die einzige Frau auf der Welt, vor der er sich fürchtete. Nora war noch keine fünf Minuten in Kings opulentem Schlafzimmer, da kam Juliette und brachte ihr Frühstück. Nora durfte in diesem Zimmer schlafen, weil Kingsley bis zum nächsten Tag nicht in der Stadt war. Sie zog sich aus und kroch unter die Bettdecke. Unter dieser Decke hatte sie schon mehr als nur ein paar Nächte geschlafen. Ihre beiden Handys legte sie auf das Kissen neben sich, falls Wesley, Zach, King oder Søren anriefen.
Während der Schlaf sie langsam übermannte, dachte sie an Wesley. Sie hoffte, dass es ihm inzwischen besser ging und dass er bald nach Hause käme. Und als sie sich tiefer in die luxuriösen Laken kuschelte, wünschte ein Teil von ihr, Søren wäre jetzt bei ihr.
Nora schlug die Augen auf und schaute auf die Uhr. Es war fast neun Uhr abends. Sie hatte beinahe zwölf Stunden durchgeschlafen. In Kingsleys Badezimmer, das ebenso dekadent war wie das Schlafzimmer, duschte sie und zog die Sachen an, die Juliette in der Zwischenzeit für sie auf dem Stuhl neben dem Bett bereitgelegt hatte. Als sie aus der Dusche stieg, klingelte das Hotlinetelefon. Ohne ihre Hände erst abzutrocknen, nahm sie den Anruf entgegen.
„King! Was gibt’s Neues?“
„Der brave Herr Doktor sagt, du hast für ein Rendezvous mit
ton petit garçon malade
freie Bahn. Seine Eltern haben sich dem Vorschlag des Arztes gebeugt und lassen dein Haustier heute Nacht schlafen. Sie sind jetzt in ihrem Hotel.“
„Sag Dr. Jonas, das nächste Mal mache ich diese Sache für ihn, die er so mag. Mit der Erdnussbutter und dem Penisring.“
„Das ist ohne Zweifel der einzige Grund, warum er sich damals für ein Medizinstudium entschieden hat.“
Nora verließ Kings Stadthaus und machte sich wieder auf den Weg zum Krankenhaus. Sie fühlte sich wie neugeboren. Vor Aufregung, endlich Wesley wiederzusehen, zitterte sie fast. Sie parkte das Auto und ging direkt zu seinem Zimmer. Auf Zehenspitzen schlich sie sich hinein. Wesley lag im Krankenhausbett und schlief friedlich.
Sie trat ans Bett und schaute ihn an. Seine Wimpern schwebten über den gebräunten Wangen, und seine Brust hob und senkte sich langsam und stetig. Sie beugte sich über ihn und küsste ihn auf die Stirn. Seine Augen öffneten sich ruckartig. Er schaute sie an, als sei sie geradewegs seinem Traum entstiegen.
„Nora, Gott sei Dank.“ Er versuchte die Arme um sie zu legen, aber sofort jammerte er leise, weil er Kanülen und Schläuche vergessen hatte, die darin steckten.
„Nicht bewegen, Kleiner. Du reißt dir sonst noch die Infusionen raus. Ich bin hier, ganz nah bei dir. Wie geht’s dir?“
„Jetzt, da du hier bist, ist alles gut. Ich habe mir den ganzen Tag den Kopf zerbrochen, wie ich dich anrufen kann. Aber wenn Mom das Zimmer mal verließ, blieb Dad da und umgekehrt. Sie sind erst vor ein paar Minuten gegangen. Der Arzt hat ihnen förmlich befohlen, mich heute Nacht allein zu lassen.“
Nora strahlte ihn an.
„Ein Freund von dir?“
„Der Freund eines Freundes. Es ist gut, Freunde in den verschiedensten Positionen zu haben. Ich kenne auch einen Polizisten, der mir einen Gefallen schuldet. Solltest du also mal festgenommen werden …“
„Das werde ich mir merken.“ Wesley streckte die Hand nach ihr aus. „Ich bin so froh, dass du hier bist.“
„Und ich erst. Ich war heute früh schon mal hier und habe im Flur gestanden und deine Eltern
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