Das Locken der Sirene (German Edition)
Bett.
„Ich habe die letzten zwölf Stunden in der Hölle verbracht. Sorry, hab wohl vergessen, Ihnen ein Andenken mitzubringen.“
„Ich hab mir bereits alle Andenken, die ich brauche, von meinen eigenen Reisen in die Hölle mitgebracht. Was tun Sie hier, Nora?“
„Ich will mich entschuldigen, weil ich Ihnen gegenüber gestern Nacht so ausgerastet bin.“
„Entschuldigung angenommen. Sie können jetzt gehen. J. P. wird einen anderen Lektor suchen, der mit Ihnen arbeitet. Vermutlich Thomas Finley. Er ist ein Arschloch. Sie werden ihn mögen.“
„Es gibt gute Arschlöcher und miese Arschlöcher. Sie gehören zu den guten. Ich will nur mit Ihnen arbeiten.“
„Nun ja, dann hätten Sie mir wohl lieber nicht sagen sollen, dass Sie erstens auf das Buch und zweitens auf mich scheißen.“
Nora hüpfte vom Schreibtisch und stellte sich mit verschränkten Armen vor ihn. „Wesley ist gestern Abend nicht nach Hause gekommen.“
„Er ist alt genug, um seine eigenen Wege zu gehen, Nora.“
„Aber Sie kennen Wes nicht. Er ruft an. Er ruft immer an. Wenn er fünf Minuten zu spät kommt, ruft er an. Vor einer Weile war ich einmal in Miami, und er rief mich an, um mir zu sagen, dass er ins Kino geht, damit ich mir keine Sorgen mache, falls ich versuche, ihn anzurufen, und ihn nicht erreiche. So ist Wes. Gestern kam er nicht nach Hause und rief auch nicht an. Da bin ich durchgedreht.“
„Ich nehme an, Sie haben ihn gefunden?“
Nora lachte kalt. „Irgendwie schon. Er ist im Krankenhaus.“
Zach richtete sich auf. „Du meine Güte. Geht es ihm gut?“
„Er hat in der Bibliothek einen Zusammenbruch erlitten. Diabetische Ketoazidose. Mich hat niemand benachrichtigt, weil niemand weiß, dass es mich gibt. Ich bin nicht mit ihm verwandt. Eigentlich bin ich gar nichts für ihn.“
„Haben Sie ihn inzwischen besucht?“
„Ich komme gerade aus dem Krankenhaus, wo ich mich eine halbe Stunde lang im Flur vor seinem Zimmer herumgedrückt und seine Eltern belauscht habe. Ich kann nicht zu ihm, solange sie da sind. Zach, ich fühle mich so … machtlos. Ein schlimmes Gefühl.“
Zach wandte den Blick von ihr ab und starrte aus dem Fenster. Der Ausblick ging nach Osten. Wenn die Welt flach wäre und er über eine außergewöhnliche Fernsicht verfügen würde, könnte er England sehen. Er wusste, wie Nora sich fühlte. Grace … Ihre Eltern waren so schnell wie möglich gekommen, nachdem er sie angerufen und informiert hatte, sie sei im Krankenhaus. In dem Moment, wo sie das Krankenzimmer betraten, hatte er gewusst, dass es ein Fehler gewesen war, sie zu benachrichtigen. Die Ärzte hörten augenblicklich auf, mit ihm zu reden, und sprachen stattdessen mit ihnen. Er erinnerte sich gut an seine Wut und daran, wie er zwischen Graces Eltern und den Arzt getreten war und diesem Mann unmissverständlich klargemacht hatte, dass man, wenn eine verheiratete Frau in der Notaufnahme war, zuerst mit ihrem Mann sprach und dann erst mit ihren Eltern. Er hatte dem Arzt nicht gesagt, er solle sich ins Knie ficken. Er war um einiges unhöflicher gewesen.
„Tut mir leid, dass Sie das durchmachen mussten.“
„Als Sie mich gestern Nacht angerufen haben, wartete ich gerade auf eine Nachricht von Wes. Wenn Gott mich in diesem Moment angerufen hätte, um mich in die Geheimnisse des Universums einzuweihen, hätte ich ihm auch gesagt, er solle sich gehackt legen. Sie dürfen das nicht persönlich nehmen, Zach. Kann ich das irgendwie wiedergutmachen? Kaffee? Tee? Mich?“
Zach lachte. Selbst in diesem erschöpften Zustand war sie immer noch schamlos.
„Sie brauchen Schlaf, kein Koffein und keine anderen Stimulanzien“, erklärte er ihr und blickte sie prüfend an. Sie lächelte und nickte.
„Also gut, dann lasse ich Sie jetzt wieder allein. Sobald Wes nach Hause kommt, verspreche ich, mich wieder an das Buch zu setzen. Können Sie mir das mailen, was Sie mir gestern Abend sagen wollten? Ich lese es und setze alles um, was Sie von mir verlangen.“
Zach versprach es, und Nora wandte sich zum Gehen.
„Wann haben Sie das letzte Mal geschlafen, Nora?“, fragte er, ehe sie sein Büro verlassen konnte.
„Vor sechsundzwanzig Stunden.“
Zach verzog das Gesicht. „Sie sollten lieber nicht fahren. Tote Schriftsteller redigieren so schlecht.“
„Das können wir dann auf meinen Grabstein schreiben“, sagte Nora. Er starrte sie finster an. „Also gut. Ich habe einen Freund, der wenige Blocks von hier ein Stadthaus besitzt. Ich
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