Das Locken der Sirene (German Edition)
belauscht. Deine Mom will dich wieder nach Hause holen.“
„Das stimmt, aber ich werde nicht nach Hause zurückgehen. Ich habe Dad auf meiner Seite. Wir werden sie schon irgendwie mürbe kriegen.“
„Das hoffe ich sehr. Gutes Personal ist heutzutage so schwer zu finden. Und, was sagt der Doktor?“
Wesley stöhnte. Nora fuhr mit den Fingern durch sein Haar. Es fühlte sich einfach nur gut an, ihn wieder berühren zu können und in seiner Nähe sein zu dürfen. Sie konnte nicht glauben, dass sie nur einen Tag lang getrennt gewesen waren.
„Ich habe mir so viele Injektionen in den Arm gegeben, dass sich dort Narbengewebe gebildet hat“, erzählte Wesley und rieb seinen linken Oberarm. „Das Insulin dringt nicht mehr gut genug durch. Ich muss also woanders injizieren.“
„In den Oberschenkel?“, schlug sie vor. „Oder in deinen süßen kleinen Arsch?“
„Noch schlimmer. Tagsüber soll ich die Injektion jetzt in den Bauch setzen und abends in den Oberschenkel. Weißt du, das Gefühl, sich eine Nadel in den Bauch zu stechen und sie für fünf Sekunden dort zu lassen, wird ziemlich überbewertet.“
„Brauchst du mir nicht zu erzählen. Sogar die größten Fetischisten mögen es nicht, wenn sie am Bauch Schmerzen erleiden. Das ist eine sehr empfindliche Stelle. Wann darfst du nach Hause?“
„Sie lassen mich vielleicht morgen oder übermorgen raus. Ich fühle mich schon viel besser. Ich bin bloß schrecklich müde.“
„So siehst du auch aus. Als ob du zehn Pfund verloren hättest. Und so viel hast du echt nicht zuzusetzen.“
„Du bist diejenige, die viel zu dünn ist, Nora.“
„Ich habe acht Pfund zugenommen, seit du bei mir eingezogen bist und jeden Tag für uns kochst.“
„Die acht Pfund hast du aber auch gebraucht! Du sahst damals total verhärmt aus.“
„Ich muss zäh sein, um meine bösen kleinen Jungen und Mädchen zu verhauen. Dir werde ich übrigens auch den Hintern versohlen, wenn du mir noch einmal einen Schrecken einjagst.“
„Das habe ich nicht vor. Versprochen.“
Wesley lächelte sie an, und sie nahm seine Hand. „Brauchst du irgendetwas von zu Hause? Klamotten oder so?“
„Mom wird jede sich bietende Entschuldigung nutzen, um einkaufen zu gehen. Sie wollte morgen früh ein paar Sachen für mich besorgen.“
„Gut. Dann gehe ich jetzt und lasse dich schlafen.“
Wesley setzte sich auf und schüttelte den Kopf.
„Geh nicht. Bitte.“
„Ich bleibe so lange, wie du es willst, Wes“, versprach sie, als sie die leichte Panik in seiner Stimme hörte. „Rutsch rüber, und mach mir ein wenig Platz.“
Wesley lachte, aber sie meinte es ernst. Vorsichtig kroch sie unter den Kabeln und Schläuchen in sein Krankenhausbett und kuschelte sich an ihn. Wesley nahm sie in den Arm. Sie lag an seine Brust gedrückt und schloss die Augen.
„Weißt du, ich habe es schon mal im Krankenhaus getrieben, aber nie auf der Kinderstation.“
„Nora, du bist einfach nur eklig. Schlaf jetzt.“
„Du schläfst zuerst.“
„Ich will aber nicht schlafen. Ich will mit dir reden.“
„Gut. Ich will auch nicht schlafen. Worüber willst du denn reden? Über Pferde?“
„Du willst über Pferde reden?“
„Werd jetzt bitte nicht sauer, aber ich habe auf der Suche nach den Telefonnummern deiner Freunde in deinen Sachen gewühlt. Dabei habe ich das Fotoalbum vom letzten Sommer gefunden. Und dieses blöde Foto von mir und Speak easy.“
Sie schaute zu ihm hoch. Selbst in der Dunkelheit sah sie, wie er errötete.
„Das ist kein blödes Foto. Du siehst darauf glücklich aus.“
„Natürlich tue ich das. Ich war ja mit dir zusammen.“
Wesley blickte sie lächelnd an. Nora küsste ihn auf die Wange und kuschelte sich wieder an seine Brust. Es war so eine Erleichterung, sein Herz gleichmäßig unter ihrem Ohr schlagen zu hören.
„Wie hast du herausgefunden, wo ich bin?“, fragte Wesley. Er streichelte ganz leicht ihren Arm.
Sie wusste, das Letzte, was er jetzt hören wollte, war, dass Søren ihr geholfen hatte, ihn aufzustöbern. Oder dass Kingsley, der für ihn nur ihr Komplize war, seine Verbindungen hatte spielen lassen, um an vertrauliche Informationen zu gelangen.
Nora schloss die Augen und kuschelte sich enger an Wesley.
„Das war Zauberei.“
10. KAPITEL
Z ach war erleichtert, als er zwei Tage später zur Arbeit kam und in seinem E-Mail-Eingang fast fünfzehntausend neue Wörter von Nora fand. In Wesleys Abwesenheit hatte sie sich ihre nervöse Energie
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