Das Locken der Sirene (German Edition)
Tode.“
Zach lachte, aber in Wesleys Augen blitzte nichts Fröhliches auf.
„Du siehst jedenfalls wieder vollends genesen aus.“ Zach beneidete den Jungen um seine Jugend. Nach drei Tagen im Krankenhaus sah Wesley immer noch gesund und munter aus. „Zumindest gesund genug, um das hier zu schätzen zu wissen.“ Zach zog die Hand aus der Manteltasche und zeigte Wesley die Handschellen, die von seinem Handgelenk baumelten.
Wesley lachte laut, und Zach stimmte mit ein. Es war wirklich lächerlich peinlich.
„Fühlen Sie sich deswegen nicht schlecht, Zach“, tröstete Wesley ihn. „Nora hat mich mal überredet, ihr beim Schreiben einer Szene zu helfen. Ich endete zu einem handlichen Paket verschnürt auf dem Wohnzimmerfußboden, wo ich mich eine halbe Stunde nicht rühren durfte.“
Jetzt musste Zach lachen. Gab es irgendwo auf der Welt eine Frau, die wie Nora war? Er war so froh, dass es sie gab – und dass sie ein Einzelstück war.
„Wo ist sie eigentlich? Sie hat gesagt, sie würde mir helfen, die hier loszuwerden.“
„Wenn das jemand kann, dann sie. Sie wartet in der Kirche auf Sie.“
„In der Kirche?“
Wesley hatte die ganze Zeit mit verschränkten Armen auf der Schwelle zu Noras Haus gestanden. Jetzt streckte er die rechte Hand aus und zeigte auf ein Gebäude an der nächsten Straßenecke.
„Da vorn. Gehen Sie rein, und schauen Sie nach oben. Dort werden Sie sie finden.“
Wesley schloss die Tür, und Zach überquerte die Straße und ging zur besagten Straßenecke. Vor der Kirche stand ein Schild:
St. Luke’s – katholische Kirche
. Darunter waren die Termine für die Messen aufgeführt.
Beklommen schlüpfte Zach durch die Vordertür der kleinen, im Stil der Neorenaissance gehaltenen Kirche. Abgesehen von den Hochzeiten seiner Freunde war er selten in einer Kirche gewesen. Und noch nie zuvor in einer katholischen. Er sah die kleinen tropfenden Kerzen und die bunten Kirchenfenster, die eine Geschichte der biblischen Gewalt erzählten. In diesem Umfeld ergab die Bildsprache in Noras Büchern für ihn plötzlich Sinn.
„Gehen Sie rein, und schauen Sie nach oben“, hatte Wesley gesagt.
Zach trat in die Mitte des Altarraums und blickte nach oben.
„Ich bin hier, Zach.“
Er schaute auf und fand Nora am anderen Ende der Kirche, wo sie am Geländer einer kleinen Galerie lehnte.
„Was machen Sie da oben?“ Er bemühte sich, leise zu sprechen, doch die Akustik war so gut, dass es sich trotzdem anhörte, als würde er schreien.
„Gesangsprobe. Zeigen Sie mal, was man Ihnen angetan hat.“
Zach zog die Hand aus der Manteltasche und hielt sie hoch, damit sie die Handschellen sehen konnte.
„Ach, ach, ach …“ Sie seufzte und imitierte einen Südstaatenakzent, den sie bestimmt von Wesley geklaut hatte. „Wie ich sehe, hat die Verlockung angeklopft, und Sie haben ihr die Tür geöffnet …“
„Wohl kaum, Blanche DuBois. Ich habe einen ziemlich geschmacklosen Witzbold im Büro. Das hier war sein erbärmlicher Versuch, einen Scherz zu machen.“
„Na, dann kommen Sie mal rauf. Ich werde sehen, was ich tun kann.“
Zach fand die winzige Treppe, die zu der Galerie führte. Sie war kaum breiter als seine Schultern. Auf der Galerie gab es kleinere Kirchenbänke und eine ziemlich veraltete Tonanlage. Nora saß auf der Balustrade und zeigte auf die Bank vor sich.
„Kommen Sie, Kinky Easton“, lockte sie ihn. „Anfänger. Sie wissen doch, man soll immer erst die Ausrüstung überprüfen, ehe man mit dem Spiel anfängt.“
Nora trug Jeans und eine weiße Bluse. Ihre Haare fielen ihr offen auf die Schultern, und er fühlte sich gegen seinen Willen zu ihr hingezogen. Sie packte seine Hand. Als ihre Finger sein Handgelenk berührten, durchzuckte es ihn wie ein Blitz.
„Und, was denken Sie?“ Er versuchte das angenehme Gefühl von seiner Hand in ihrer zu ignorieren. „Brauchen wir einen Bolzenschneider? Oder können Sie das Schloss knacken?“
„Ich
kann
es knacken. Aber das muss ich nicht.“
Nora zog ihre Schlüssel aus der Hosentasche. Nach kurzer Suche steckte sie einen ins Schloss und drehte ihn. Die Handschelle öffnete sich und fiel von seinem Handgelenk.
„Wunderbar“, hauchte er. „Ich danke Ihnen.“
„Gern geschehen.“ Sie steckte die Schlüssel wieder weg und hob die Handschellen auf. „Das sind Polizeihandschellen. Der Schlüssel, der mitgeliefert worden ist, hätte eigentlich passen müssen.“
„Hat er aber nicht. Sowohl Mary als auch ich haben es
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