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Das Locken der Sirene (German Edition)

Das Locken der Sirene (German Edition)

Titel: Das Locken der Sirene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiffany Reisz
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Katholikin.“
    „Falls ich mich irgendwann einmal vor dem Papst rechtfertigen müsste, wäre die Verhütung noch mein geringstes Problem.“ Sie machte einen Schritt nach hinten. „Ich folge einfach Martin Luthers Rat – ich sündige richtig.“
    Er folgte ihr die Treppe hinunter und den Mittelgang entlang zu einem Seiteneingang, den er bei seinem Eintritt nicht bemerkt hatte. Hinter der Tür gab es einen Vorraum, in dem Nora ihren Mantel abgelegt hatte.
    „Zwingen sie die Sünder dazu, den Seiteneingang zu benutzen?“, witzelte er.
    „Dann müssten wir alle den Seiteneingang benutzen. ‚Denn es ist hier kein Unterschied: Sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten.‘ Römer 3, Vers 23.“
    „Eine Erotikautorin, die aus der Bibel zitieren kann – Sie sind wirklich ein Widerspruch in sich“, sagte Zach.
    Nora zwinkerte ihm zu. „Falls es Ihnen hilft: Søren sagt immer, der Katholizismus sei in seinen Augen der perfekte Glaube für jemanden, der auf SM steht.“
    „Warum?“
    Nora öffnete den Mund und schloss ihn sofort wieder, als habe sie es sich anders überlegt.
    „Wie war das?
Show, don’t tell.“
Sie nahm seinen Arm.
    Gemeinsam kehrten sie in das Kirchenschiff zurück und gingen durch eine andere Tür auf der gegenüberliegenden Seite. Dahinter erstreckte sich ein langer Flur, dessen Wände gerahmte Drucke biblischer Szenen zierten. Zu seiner Rechten waren es Szenen aus dem Alten Testament – Ruth und Naomi, die Jakobsleiter, die Durchquerung des Roten Meeres. Zu seiner Linken sah er Szenen aus dem Neuen Testament. Nora führte ihn zum Ende des Gangs und blieb vor dem drittletzten Bild stehen.
    „Das hier ist mein Lieblingsbild“, erklärte sie und hielt sich weiter an seinem Arm fest. „Antonio Ciseris
Ecce homo
. Was so viel heißt wie
Siehe, der Mensch
, falls Sie Ihr Latein vergessen haben.“
    „Ist ein wenig eingerostet. Ist das die Kreuzigung?“
    „Das ist die Passion. Hier wird Christus dem wütenden Mob präsentiert.“
    „Ah ja. Als wir blutrünstigen Juden Jesus umgebracht haben, stimmt’s?“
    Nora lächelte und schüttelte den Kopf. „Machen Sie Witze? Jesus starb für die Sünden dieser Welt. Jeder, der jemals gelebt hat, hat Jesus getötet.“ Sie schwieg einen Moment und lächelte traurig. „Ich habe ihn umgebracht.“
    Zach antwortete nicht. Er betrachtete eingehend das Gemälde. Die Wahl der hellen Farben, mit denen der Künstler diese düstere Szene gemalt hatte, faszinierte ihn.
    „Søren verfügt über diese beeindruckend verzerrte Theologie, um die Dreifaltigkeit zu erklären, wissen Sie? Gott der Vater verhängte das Leid und die Qual über ihn, Gott der Sohn ergab sich dem gehorsam, und Gott der Heilige Geist gab Christus die Anmut, es zu ertragen.“
    „Ihr Søren klingt … interessant“, sagte Zach in dem vergeblichen Versuch, diplomatisch zu sein.
    „Er war nie
mein
Søren. Das ist das Problem, wenn man sich einem anderen unterwirft und sich an ihn fesseln lässt. Ich war zwar sein, aber er hat mir nie gehört. Doch Sie haben recht, er ist interessant. Der einfühlsamste Sadist, den Sie sich nur vorstellen können.“
    „Aber Sie haben ihn geliebt?“
    „Und
ich habe ihn geliebt“, korrigierte sie ihn. „Søren hat gesagt, Jesus war der einzige Mann, der es geschafft hat, ihm ein Gefühl von Demut zu vermitteln. Ich habe mich auch demütig gefühlt.“
    „Wegen Søren oder wegen Jesus?“
    Nora antwortete nicht, sondern ließ Zachs Arm los und trat näher an das Bild heran.
    „Sehen Sie sich das an. Sehen Sie
ihn
an. Ist er nicht das Schönste, was Sie je gesehen haben, Zach?“ Sie sagte seinen Namen, doch ihre Stimme klang entrückt, als spreche sie eher mit sich selbst. „Das ist das Prätorium. Pilatus war damals eine Art Statthalter in Jerusalem. Er versuchte einen sehr brüchigen Frieden zu bewahren. Statt Christus also einfach zum Tode zu verurteilen, befahl er, ihn zu geißeln. Geißelung hieß damals, einen Mann beinahe zu Tode zu peitschen, mit einer Peitsche, in die Glassplitter, Knochensplitter und Steinchen eingeflochten waren. Es war eine schlimme Bestrafung. Er hoffte, das werde den Blutdurst des Mobs befriedigen. Aber sehen Sie sich das Bild an – keine Wunden! Die Haut auf seinem Rücken sieht makellos aus. Und doch ist er zuvor vermutlich brutal und heftig ausgepeitscht worden. Ciseri betont hier vor allem Christi Schönheit, nicht das, was er ertragen hat. Er betont Christi weibliche Seite.

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