Das Locken der Sirene (German Edition)
Anwesenheit verlangt, Madam“, sagte Zach mit seinem vornehmsten Oxfordakzent.
Nora stöhnte und stand auf.
„Tut mir leid, Kiddies, ich muss los.“
Das ältere Mädchen zupfte an Noras Ärmel.
„Miss Ellie, ist das Ihr Freund?“, flüsterte sie so laut, dass jeder es hören konnte.
„Nein“, flüsterte Nora genauso laut zurück. „Er ist mein Aufpasser.“
Nora ließ die Kinder nur widerstrebend allein.
„Ich bin Ihr Lektor, nicht Ihr Aufpasser. Und wer ist Ellie?“
„Die Frage sollte eher lauten: ‚Wer
war
Ellie?‘ Und viel interessanter ist doch die Frage: Was, zum Teufel, tun Sie hier?“
„Wesley hat mich eingeladen. Er meinte, Signierstunden machen Sie nervös.“
„Signierstunden machen ihn nervöser als mich. Ich finde sie bloß lästig. Man sitzt wie eine Königin auf einem Podest, davor stehen sieben Leute, und mit vier von denen ist man verwandt.“
„Nun, dann sind’s jetzt acht Leute, wenn Sie mich mitzählen“, sagte Zach. „Wenn Sie Signierstunden so sehr hassen, wieso machen Sie dann eine in einem so großen Buchladen?“
„Weil Lex mich gefragt hat und ich einfach nicht Nein sagen konnte.“ Nora seufzte. „Nein sagen war noch nie meine Stärke.“
„Lex?“
„Der Glatzkopf – Lex Luthor. Ihm gehört der Laden. Ich hab hier gearbeitet, und wir sind danach in Verbindung geblieben.“
Sie erreichten die Rolltreppe nach unten, und Zach bemerkte einen Mann mit schulterlangen Haaren, die er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden trug. Er stand an der Balustrade und starrte Nora an. Er trug einen grauen Anzug im Stil des viktorianischen Zeitalters und Reitstiefel, und neben ihm stand eine schwarze Frau, die mit Abstand das Exotischste war, was er in seinem Leben bisher gesehen hatte. Der Mann sagte etwas auf Französisch zu der Frau, und die Frau lächelte. Der Mann beugte sich über die Balustrade und zwinkerte Nora zu. Sie betrat die Rolltreppe, blickte ruhig zu dem Mann auf und hob die Hand, als wollte sie ihn wegschnipsen. Die berückend schöne Begleiterin des Mannes lachte nur.
„Wer ist das?“, fragte Zach, sobald sie außer Hörweite waren.
Nora zuckte mit den Schultern. Sie erreichten das Erdgeschoss. „Keine Ahnung.“
Zach hörte, dass sie leise etwas hinzufügte, doch er konnte es nicht verstehen, weil in dem Moment der Applaus aufbrandete. Er ließ sie allein nach vorn gehen und gesellte sich wieder zu Wesley.
Nora stand auf der kleinen Bühne und winkte den versammelten Fans zu. Inzwischen waren es fast hundert. Lex stand neben ihr und klappte für sie die Bücher auf. Nora signierte und plauderte gleichzeitig mit ihren Lesern.
„Sie liest nicht aus ihren Büchern?“, fragte Zach an Wesley gewandt.
„Nora macht in ‚ordentlichen‘ Buchhandlungen keine Lesung, wie sie es nennt. Sie will nicht wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses eingesperrt werden. Fragerunden gibt’s auch nicht.“
„Vermutlich aus demselben Grund“, sagte Zach und lächelte.
Nora war wenige Meter von ihnen entfernt, aber Zach hörte, wie sie mit ihren Bewunderern scherzte. Eine junge Frau fragte Nora, woher sie nur immer diese Ideen nahm. Nora antwortete darauf trocken: „Ich habe eine katholische Schule besucht.“
Zach lachte in sich hinein. Er fand diese Antwort ziemlich amüsant. Wesley schaute nicht hin, er starrte weiterhin in die Menge und ließ nicht einen Moment die Männer aus den Augen, die in der Schlange warteten. Zach überließ es Wesley, auf die Leute aufzupassen, und beobachtete stattdessen Nora. Obwohl sie sich zuvor lautstark über die Signierstunde beklagt hatte, schien sie es jetzt sehr zu genießen. Sie sah in dem roten Lederrock mit passender Jacke einfach strahlend schön aus, auch wenn der Rock zu kurz war, um als anständig durchzugehen. Die nächste junge Frau hatte eine Reitgerte mitgebracht, und Nora versuchte auf den schmalen Schaft ihren Namen zu setzen. Ein älterer Mann im Anzug bekam von Nora die Erlaubnis, die Spitze ihres Schuhs zu küssen, während seine Frau ein Foto davon machte.
„Wie lange lebst du jetzt schon bei Nora?“, fragte Zach Wesley. Er hoffte, ihn so von seiner unnötigen Wachsamkeit ablenken zu können.
„Etwas mehr als ein Jahr.“
„Und seit wann liebst du sie?“
Wesley blickte Zach scharf an, bevor er kleinlaut lachte. „Etwas mehr als ein Jahr – plus ein paar Monate.“
„Sie weiß nichts davon?“
„Nein. Sie hat mich nur deshalb gebeten, bei ihr einzuziehen, weil ich gewissermaßen
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