Das Locken der Sirene (German Edition)
hob die Oberteile vom Fußboden auf. Er zog das T-Shirt wieder an, aber Nora hatte es nicht eilig, in ihre Bluse zu schlüpfen. Sie genoss es, Wesley dabei zu beobachten, wie er versuchte, sie nicht anzusehen.
„Na ja, ich hab Dad irgendwie von dir erzählt.“
„Du beliebst zu scherzen. Ist er ausgeflippt?“
„Ich bin nicht ins Detail gegangen. Ich habe ihn in dem Glauben gelassen, ich hätte hier eine Freundin, damit er mir den Rücken stärkt und ich nicht zurück nach Hause muss. Er fing schon an, sich Sorgen zu machen, sein Sohn könnte, du weißt schon …“
„Ein Hengst sein, der nicht an Stuten interessiert ist?“
Wesley lachte. „Genau.“ Er war begeistert.
„Ich habe dich nie als einen Lügner angesehen. Ich bin beeindruckt.“
„Ich habe nicht gelogen. Du bist eine Frau und ein Freund, also …“
„Also eine Freundin. Nun, wenn ich deine
Freundin
sein soll, muss dieses Jungfrauendings mal ein Ende finden. Das hat aber Zeit bis nach dem Abendessen“, sagte sie und zog ihre Bluse wieder an.
Sie war im Begriff, das Badezimmer zu verlassen, als Wesley nach ihrer Hand griff.
„Du hast noch nicht gesagt, ob du mitkommst oder nicht.“
Nora schaute ihn lächelnd an. Sie konnte es nicht glauben, wie ernst es Wesley mit manchen Dingen war.
„Ja, Wes. Ich komme mit und erlebe an deiner Seite die zwei aufregendsten Minuten des Sports. Wann ist das Rennen?“
„Am ersten Samstag im Mai.“
„Ich buche unsere Flüge. Du kümmerst dich um die Karten.“
„Die Karten hab ich schon. Ich geh jedes Jahr hin. Meine Familie würde eher Weihnachten ausfallen lassen, als nicht zum Derby zu gehen. Ich habe nur letztes Jahr nicht hingekonnt wegen der Abschlussprüfungen. Keine Schule im Herzen von Kentucky würde jemals die Abschlussprüfungen am Derbytag ansetzen.“
„Wir sind hier oben schon allesamt verfluchte Yankees, hm?“
„Ich mag euch Yankees. Ihr redet so komisch.“
Nora verschränkte die Finger mit seinen und betrachtete ihn nachdenklich. Seit er aus dem Krankenhaus gekommen war, wirkte er älter, ruhiger und selbstsicherer als zuvor. Und er schien darauf versessen zu sein, Zeit mit ihr zu verbringen. Er las in ihrem Büro, während sie schrieb. Wenn sie vom Büro in die Küche wechselte, ging er mit. Sie mochte es, ihn wie einen Schatten bei sich zu haben. Seit sie ihn wieder zu sich nach Hause geholt hatte, war in ihr mehr als einmal der Wunsch erwacht, sie wären Liebende und könnten in einem Bett schlafen. Aber so, wie er tagsüber wie ein Schatten immer in ihrer Nähe war, beschattete sie ihn des Nachts. Seit er aus dem Krankenhaus zurück war, wachte sie jede Nacht ein paarmal auf und schaute nach, ob es ihm gut ging. Sie hatte sogar kurz darüber nachgedacht, ein Babyfon zu kaufen und unter seinem Bett zu verstecken.
Nora machte einen Schritt auf ihn zu und hörte das Teufelchen auf ihrer Schulter, das ihr sagte, sie solle Wesley jetzt küssen. Ihn zum ersten Mal richtig küssen. Sie versuchte das Engelchen auf der anderen Schulter zu hören, aber sie wusste, das Engelchen hatte schon vor langer Zeit gekündigt und war auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Sie legte einen Arm um Wesleys Hals und stellte sich auf die Zehenspitzen.
Aus der Küche drang das unverkennbare Klingeln ihres roten Hotlinetelefons. Wesley seufzte und stützte sein Kinn auf ihren Kopf.
„Ist schon in Ordnung“, sagte Nora und küsste ihn rasch auf die Wange. Sie musste immer noch sehr viel schreiben, und es würde einen ganzen Stall voller Hengste brauchen, um sie heute Abend von Wesley fortzubringen. Sie lehnte sich gegen seine Brust, und er legte seine Arme um sie. „Lass es einfach klingeln.“
12. KAPITEL
N och vier Wochen …
Was, zum Teufel, tat er hier?
Zach fragte sich insgeheim, wie oft er sich diese Frage schon gestellt hatte, seit er mit Nora zusammenarbeitete. Inzwischen lag die Antwort vermutlich im zweistelligen Bereich. Er bezahlte den Taxifahrer und ging auf Wordworth’s Bookshelf zu, den Veranstaltungsort für Noras Signierstunde. Er sollte nicht hier sein.
Saturnalien
war nicht mal bei Royal House veröffentlicht worden. Ihre früheren Bücher waren für ihn bedeutungslos. Aber aus irgendeinem Grund war Nora es nicht.
Zach betrat den Buchladen durch die große Doppeltür. Die Signierstunde fand am hinteren Ende der Buchhandlung statt. Es gab eine kleine Bühne mit einem Tisch und einem Stuhl, die an drei Seiten mit Seilen abgegrenzt war. Wesley stand auf der Plattform
Weitere Kostenlose Bücher