Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Locken der Sirene (German Edition)

Das Locken der Sirene (German Edition)

Titel: Das Locken der Sirene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiffany Reisz
Vom Netzwerk:
er den ganzen Abend ein neues Manuskript gelesen hatte. Sie war mindestens einen Morgen in der Woche der lachende Wasserdieb unter der Dusche. Sie war der stille Trost und die Hand, die er vor drei Jahren bei der Beerdigung seiner Mutter nicht hatte loslassen können. Weil er kein Wort über die Lippen gebracht hatte, hatte Grace ihm die Notizen aus der Hand genommen und an seiner Stelle die Grabrede gehalten. Sie war jeder Abend und jeder Morgen und jede Nacht dazwischen, und tagsüber, wenn sie nicht zusammen waren, hatte er sich immer glücklich geschätzt, weil er wusste, dass Abend, Nacht und Morgen wiederkamen. Er räusperte sich und nippte am Whiskey.
    „Grace – der Name passt gut zu ihr. Sie ist intelligent. Viel klüger als ich. Eine Dichterin und Lehrerin.“ Der Alkohol stieg ihm zu Kopf. „Sie hat rotes Haar und die perfektesten Sommersprossen, die ich bei einer Frau je gesehen habe.“ Er schloss die Augen. Als er sie das erste Mal hatte nackt sehen dürfen – sie liebten sich in seinem Bett –, hatte er fast nicht mehr atmen können, so schön war sie gewesen. „Selbst auf dem Rücken hat sie welche, bis hinunter zu den Hüften. Perfekt bestäubt mit wunderschönen Sommersprossen.“
    „Sommersprossen? Das ist einfach unbarmherzig, finden Sie nicht?“
    „Gnadenlos. Keine so schöne Frau sollte auch noch Sommersprossen haben.“ Zach lachte freudlos. „Sie lag abends immer quer über meinem Schoß und las ihre düsteren walisischen Dichter, während ich an einem Manuskript arbeitete. Einmal schlief sie so ein, und ich habe mit meinem Rotstift alle Sommersprossen auf ihrem unteren Rücken miteinander verbunden. Sie war unglaublich wütend, aber wir haben trotzdem tagelang darüber gelacht.“
    „Sie hatten eine gute Ehe, Zach. Was ist passiert?“
    Zach starrte Nora an. Sie war nur einen halben Meter von ihm entfernt, doch kam es ihm vor, als liege ein ganzes Meer aus Wahrheiten, Lügen und Erinnerungen zwischen ihnen. Er hielt ihr das Schnapsglas hin. Sie füllte es mit zitternder Hand. Zach trank den Whiskey und genoss, wie er sich durch seine Kehle und die Speiseröhre brannte.
    „Das ist ein schreckliches Spiel“, erklärte er und schloss die Augen. Erschöpft lehnte er sich gegen den Sessel.
    „Ich weiß ein besseres.“
    Etwas an Noras Stimme ließ ihn augenblicklich nüchtern werden. Er öffnete die Augen. Nora saß jetzt noch näher neben ihm. Sie verbarg etwas hinter dem Rücken.
    Zach hob die Hand und streichelte mit dem Handrücken ihre Wange. Er berührte ihr Haar, zog die Kugelschreiber heraus. Fasziniert beobachtete er, wie die dunklen Locken ihr Gesicht umschmiegten.
    „Wie lange ist es her?“, fragte Nora. Ihre Stimme war leise. Er verstand die Andeutung.
    „Dreizehn Monate.“ Er musste nicht fragen, was sie mit der Frage meinte. Und er musste nicht nachdenken, ehe er antwortete.
    „Und wie lange ist es für Grace her?“
    Zach atmete scharf ein.
    „Weniger als dreizehn Monate. Freitag – sie schrieb mir eine E-Mail. Fragte wegen irgendwelcher Rechnungen, Adressen und all dem Treibgut, das nach einer Ehe bleibt. Beiläufig erwähnte sie einen Typen namens Ian.“
    Nora verzog mitfühlend das Gesicht.
    „Wie beiläufig?“
    „Nicht beiläufig genug, als dass ich mir nicht sofort vorstellte, wie die beiden zusammen im Bett liegen. Es ist meine eigene Schuld. Als wir beschlossen, dass unsere Ehe eine Chance haben sollte, zu funktionieren, gaben wir uns das Versprechen, dass es keine Geheimnisse und keine Lügen zwischen uns geben solle. Ich hatte ihr erklärt, ich könne alles verkraften, sogar Fremdgehen, aber nur solange sie mich deswegen nicht anlügen würde. Lügen hasse ich mehr als alles andere.“ Zach schüttelte den Kopf. „Jetzt leben wir seit acht Monaten getrennt, und noch immer schafft das verdammte Mädchen es nicht, mich anzulügen.“
    Zach sah Nora an. Etwas flackerte in ihren Augen auf – eine ihrer eigenen geheimen Ängste.
    „Das tut mir leid“, sagte sie nur, und Zach wusste, dass sie es wirklich so meinte. Er ließ einen Finger über ihre Stirn gleiten und über ihre Schläfe zu ihrer Wange und weiter hinunter. Mit dem Daumen liebkoste er ihre Unterlippe.
    „Danke. Und was ist das für ein neues Spiel? Dieses hier bringt mich noch dazu, nie mehr einen Tropfen Alkohol zu trinken.“
    „Gott bewahre! Haben Sie schon mal ‚Ich hab noch nie‘ gespielt?“
    „Ich hab noch nie ‚Ich hab noch nie‘ gespielt“, sagte er und wusste in dem

Weitere Kostenlose Bücher