Das Locken der Sirene (German Edition)
Jabberwocky
von Lewis Carroll. Ein kluger Illustrator hatte den Text von Carrolls Gedicht genommen und es als eine Geschichte mit Bildern umgesetzt. Zach blätterte das Buch durch. Die Illustrationen waren schreiend bunt und lebendig, und die Seiten des Buches waren vom häufigen Berühren ganz weich und porös. Er folgte einer Eingebung und schlug die erste Seite auf. Dort fand er eine Widmung. In einer männlichen und zugleich eleganten Handschrift stand dort:
Meine Kleine, vergiss nie die Lektionen des Jabberwocky. Und vergiss nie, dass ich dich liebe
. Unterschrieben war nur mit einem S mit einem schwungvollen diagonalen Strich quer hindurch – das Zeichen des geheimnisvollen Søren. Er schloss das Buch und stellte es zurück an seinen Platz.
Zach wandte sich wieder Noras Schreibtisch zu. Erneut fiel ihm die lange schwarze Reisetasche auf, gegen die er an seinem ersten Tag im Büro versehentlich getreten war. Er stupste mit der Schuhspitze gegen die Tasche und hörte wieder das Klackern von Metall gegen Metall.
„Mach sie ruhig auf, Zach.“
Nora betrat das Büro. Sie strahlte ihn an, aber Zach war zu verblüfft, um ihr Lächeln zu erwidern. Er starrte sie bloß stumm an, während sie sich ihm näherte. Die Absätze ihrer Stiefel klackerten hohl auf dem Holzfußboden. Ihr knöchellanger Lederrock knarrte bei jeder Bewegung ihrer Hüften ganz leise. Die helle Haut ihres Oberschenkels blitzte in dem hüfthohen Schlitz ihres Rocks über den schwarzen, mit Spitze besetzten Strümpfen auf. Sie trug ein schwarzes Korsett über einem durchsichtigen Bustier. Die Haare waren kunstvoll über eine Schulter drapiert, der Hals war nackt und bloß. Der Anblick war beinahe obszön.
„Eine Frau in Uniform muss man einfach lieben“, sagte sie.
Zach erhaschte einen Hauch ihres Parfums – es war subtil und verführerisch. Die winzigen Härchen in seinem Nacken stellten sich auf. „Von mir wirst du keine Klagen hören.“
„Danke, Zach. Kannst du mir helfen? Ich bekomme die hier alleine nicht fest genug.“ Nora streckte die Arme aus, die bis auf ein Paar schwarze fingerlose Lederhandschuhe, die ihre Unterarme bedeckten, nackt waren. Sie drehte die Handflächen nach unten, und Zach sah, dass die Handschuhe vom Daumen bis zum Ellbogen wie ein Korsett geschnürt wurden.
„Wie nennt man die?“ Er nahm Noras Handgelenk in seine Hand und begann die Schnüre methodisch festzuziehen.
„Man nennt sie Stulpenhandschuhe. Eine Art weiblicher Mittelalterkrieger-Look.“
„Dachte, du trägst nur Rot, wenn du ausgehst.“ Zach zog auch den anderen Stulpenhandschuh fest.
„Glaub nicht alles, was du über mich hörst – nur die schlimmen Sachen. Du machst das echt gut. Bestimmt hast du schon mal ein Korsett geschnürt, hm? Magst du Dessous?“
„Ich habe jedenfalls nichts dagegen. Es muss frustrierend sein, Klamotten zu haben, in die man dir reinhelfen muss.“
„Eigentlich ist das Wesleys Job. Er ist derjenige, den es frustriert.“
„Sein Job? Und ich dachte, ich hätte an der Universität meinen Spaß gehabt. Das hier ist ja wohl tausendmal besser, als betrunkene Fußballhooligans vom Randalieren abzuhalten.“
„Ein Liebhaber
und
ein Kämpfer? Du solltest Wes mal ein paar Nachhilfestunden geben, wie man seine Collegezeit sinnvoll genießt.“
„Wo steckt er überhaupt? Er schien es sehr eilig zu haben, als er ging.“
„Ach …“ Nora winkte ab. „Er ist irgendwohin, um zu schmollen.“
„Er schmollt? Darf ich wissen, wieso?“
„Wes will mich nicht, aber es gefällt ihm auch nicht, wenn ich einen anderen will. Der Kleine muss langsam lernen, dass er nicht alles haben kann.“
Zach lachte.
„Außerdem ist er wütend“, fügte Nora hinzu und trat noch näher zu Zach, „weil er nämlich weiß, was ich heute Abend tun werde.“
„Und das wäre?“
„Ich werde dich verführen.“
Zach machte einen Schritt zurück. „Nora, nur weil ich hier bin, bedeutet das nicht, dass ich meine Meinung geändert habe. Wir können nicht eine Affäre anfangen und gleichzeitig zusammenarbeiten. Zum einen, weil J. P. mich dann umbringen würde. Und wenn er’s nicht täte, würde ich es vermutlich selber tun.“
Nora hob fragend die Augenbrauen, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich leicht gegen ihn.
„Du machst heute Nacht also nur einen kleinen … Schaufensterbummel?“
Zach verschränkte ebenfalls die Arme und lächelte sie an. „Vielleicht hoffe ich ja einfach, dass es dich inspiriert, dein
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