Das Luxemburg-Komplott
Schwachstelle. Däumig war bekannt für seine pathetischen wie martialischen Reden, doch offensichtlich hielt er den eigenen Ansprüchen nicht stand. Aber man konnte ihn nicht absetzen, er war ein Führer der USP, Haase und Dittmann würden eher die Zusammenarbeit mit der KPD aufkündigen als den eigenen Mann zurückziehen. Däumig genoss Ansehen bei den Unabhängigen, die Mitglieder und mittleren Funktionäre erlebten nicht mit, wie er versagte. Aber genau das tat er. Der Oberbefehlshaber kannte die militärische Lage nicht. Ungeheuerlich.
»In einer halben Stunden tagt der Rat der Volkskommissare«, sagte Liebknecht. »Bis dahin sollten alle seine Mitglieder fähig sein, aus ihren Aufgabengebieten zu berichten.«
Däumig verschwand, Liebknecht setzte sich, gähnte und sagte: »Ich renne von Betrieb zu Betrieb. Die machen, was sie wollen. Der Betrieb gehört uns, da hat uns die Regierung nicht reinzureden, sagen die Betriebsräte der AEG und der Waffen- und Munitionsfabriken. Sie fordern, einen Rat der Betriebe Berlins zu bilden, um die Produktion zu planen. In den Betrieben entstehen bewaffnete Abteilungen zum Selbstschutz. Und zwar nicht nur gegen die Konterrevolution, sondern auch gegen die Regierung, falls diese sich in die Autonomie der Fabriken einmischen wolle.«
»Die Beamten Berlins und anderer Städte und in den süddeutschen Ländern haben erklärt, sie unterstützten weiterhin die Regierung Scheidemann.«
Barth erschien, atemlos. »Die Diplomaten streiken. Die deutschen Botschaften haben sich ausnahmslos der alten Regierung unterstellt.«
»Und was sagen die Alliierten?« fragte Liebknecht.
»Die drohen mit einer Intervention, falls in Deutschland russische Verhältnisse ausbrächen.«
»Was immer das sei«, sagte Rosa.
Bis zur Sitzung des Rats der Volkskommissare vertieften sich die meisten Regierungsmitglieder in Papiere oder sammelten Berichte über die Lage in ihren Ressorts. Dann kam auch Haase und bestätigte, dass Ebert gefangengenommen worden sei mitsamt einigen Nationalversammlungsabgeordneten der SPD, des Zentrums und der Rechtsparteien. Liebknecht trommelte begeistert mit der Faust auf den Tisch.
»Aber Scheidemann und seine Minister sind entkommen«, sagte Haase. »Die sitzen jetzt in Stuttgart und behaupten, sie würden regieren. Das Schlimme ist, dass die Eisenbahner, die Reichswehr und die meisten Beamten ihnen gehorchen. Im Süden sammeln sich Truppen, im Osten auch, und es gibt keinen Zweifel, wohin sie marschieren wollen. Nach Berlin. Gleichzeitig wird die Lage hier immer verworrener.« Er bemerkte Zacharias. »Wer ist dieser Herr?«
»Das ist mein Assistent«, sagte Rosa.
»Aha.«
»Wenn Sie nichts dagegen haben, bleibt er hier sitzen. Er versteht etwas von militärischen Dingen und berät mich. Er war es, der uns in Dahlem und in Lichtenberg gerettet hat.«
»Wenn Sie meinen«, sagte Haase.
Dittmann erschien. Er hatte ein Blatt Papier in der Hand. Er hatte sich kaum gesetzt, da rief er: »Wir müssen einen Aufruf verabschieden. Titel: Die Revolution ist in Gefahr. Arbeiter und Soldaten, verteidigt den Sozialismus!«
»Gut, gut«, sagte Liebknecht. »Wer geht zu den Eisenbahnern? Wir müssen sie überzeugen, ihren Streik abzubrechen. Sonst wird Berlin nicht mehr hungern, sondern verhungern. Im Augenblick ist der Hunger gefährlicher als der Feind.«
»Und was machen wir, wenn die Eisenbahner sich nicht überzeugen lassen?« fragte Haase.
»Dann müssen wir in den Betrieben und unter den Soldaten Trupps ausheben, die die Eisenbahn unter die Kontrolle der Regierung bringen«, sagte Liebknecht.
»Dann haben wir russische Verhältnisse. Das geht nicht ohne Gewalt«, erwiderte Haase erregt.
»Fällt Ihnen etwas Besseres ein, Genosse Haase? Wie wäre es, wenn Sie zu den Eisenbahnern gingen, um sie auf unsere Seite zu bringen oder doch zumindest dazu, den Streik zu beenden?« fragte Rosa. Sie sprach ruhig, aber Zacharias spürte, dass sie sich ärgerte.
»Wenn Sie mitkommen, Genossin Luxemburg. Schließlich sind ja Sie zuständig für Wirtschaft.«
»Einverstanden, Genosse Haase. Lassen Sie uns gleich nach der Sitzung aufbrechen.« Sie drehte sich um zu Zacharias. »Und Sie kommen bitte mit, wenn wir uns in die Höhle des Löwen begeben.«
Zacharias nickte.
Dann trug Rosa den Entwurf eines Sozialisierungsgesetzes vor. Eine Sozialisierungskommission – »die diesen Namen verdient« – solle gegründet werden. Deren erste Aufgabe sei es, die Großbetriebe aufzulisten,
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