Das Luxemburg-Komplott
die enteignet werden sollten. Die Betriebsräte dieser Unternehmen sollten die Leitung übernehmen – »was an vielen Orten bereits spontan geschehen ist«. Die Unternehmensleitungen wiederum sollten einer Planbehörde unterstehen, die in Zusammenarbeit mit den Unternehmen Produktionsziele festzulegen habe. Diese Planbehörde werde aus Vertretern der Räteregierung und der Betriebe gebildet. »Ein solches System ist demokratisch, weil es von unten nach oben aufgebaut ist, und es kann die Wirtschaft zentral lenken, ohne die Rechte der Betriebsräte zu verletzen. Es ist …«
»Ein Produkt aus der Gelehrtenstube«, sagte Barth. »Im Gegensatz zu Frau Dr. Luxemburg bin ich Arbeiter, und ich sage voraus, es gibt ein großes Durcheinander. Das ist alles zu kompliziert, das versteht keiner.«
»Ein Trauerspiel, dass ein Arbeiter die Arbeiter nicht begreift«, erwiderte Rosa scharf. »Sie denken noch ganz in der sozialdemokratischen Tradition. Hauptsache zentralistisch, dann funktioniert es. Der Sozialismus, Genosse Barth, aber ist keine Befehlswirtschaft, sondern eine Frage des Bewusstseins. Entweder die Arbeiter ergreifen die Macht mit ihren Händen statt durch Stellvertreter, oder sie ergreifen sie gar nicht, und die Revo lution scheitert, bevor sie richtig angefangen hat. Es mag sein, dass die heutige Generation des Proletariats noch nicht die Reife gefunden hat, die es braucht, um eine neue Gesellschaft aufzubauen. Das würde ich als erste bedauern, aber wir können es dennoch nicht erzwingen.«
Barth schlug die Augen zur Decke, aber er antwortete nicht. Wahrscheinlich traute er sich nicht, sich mit dieser seltsamen Frau anzulegen, deren Sprachgewalt berühmt war und deren Gedanken überzeugender erschienen als die Wirklichkeit. Er wusste, was Arbeiter waren, keine akademische Größe, sondern Millionen von Menschen, die keineswegs alle das gleiche erstrebten.
Die Sozialisierung wurde vertagt bis zur nächsten Sitzung. Der Rat der Volkskommissare beschloss noch, dass Ebert und die anderen Gefangenen nach Berlin verlegt werden sollten. Hugo Haase erklärte, er wolle ein Volksgericht zusammenstellen, das einen gerechten Prozess führen werde.
Dann fuhren Rosa, Haase und Zacharias mit einer bewaffneten Eskorte zum Eisenbahn-Wagenwerk Rummelsburg, wo in einer riesigen Halle bereits Tausende von Arbeitern debattierten. In der Kälte hatte sich der Atem der Menschen zu einem Dunstnebel über der Versammlung verdichtet. Gerade sprach ein Anhänger Eberts. Die Auflösung der Nationalversammlung sei undemokratisch, diese sei schließlich aus freien Wahlen hervorgegangen, an denen sich die Kommunisten gar nicht erst beteiligt und in denen die Unabhängigen nur eine Minderzahl der Stimmen erhalten hätten.
Als die Versammlung Luxemburg und Haase erkannte, setzte Rumoren ein. Dann Pfiffe, Widerspruch gegen die Pfiffe: Lasst sie reden, sie sollen sich erklären. Ist es richtig, dass Ebert verhaftet ist? Freiheit für Ebert! Freie Wahlen! Brot und Arbeit! Weg mit den Putschisten! Es lebe die Sozialdemokratie! Aber auch: Hoch die Räterepublik! Hoch Lenin!
Die Vertreter der Räteregierung wurden ans Rednerpult gebeten, Rosa war schneller als Haase und ergriff das Wort. Es sei richtig, bewaffnete Arbeiter hätten Weimar befreit und Ebert verhaftet. Ihn und andere erwarte ein gerechter Prozess vor einem Volksgericht. Pfeifen, aber auch Zustimmung bei einer Minderheit. »Wer sich mit den Generalen der kaiserlichen Obersten Heeresleitung verbündet, vergeht sich am Proletariat. Das Geheimabkommen zwischen dem damaligen Volksbeauftragten Ebert und dem General Groener diente allein dem Zweck, die Revolution niederzuschlagen. So, wie sich Ebert im Krieg in die Streikleitung der Berliner Munitionsarbeiter wählen ließ, um den Streik abzuwürgen, so ließ er sich vom letzten kaiserlichen Reichskanzler, diesem Herrn von Baden, die Regierung übertragen, um die Revolution abzuwürgen, deren Führung er für sich beanspruchte. Ebert ist als Parteivorsitzender verantwortlich gewesen dafür, dass die sozialdemokratische Reichstagsfraktion den Krediten für den Krieg des Kai sers zustimmte. Heute jammern und wehklagen sie ü ber die Zumutung der Entente, dass Deutschland schuld sein soll am Kriege. Wenn Deutschland schuld ist, dann war die Zustimmung zu diesen Kriegskrediten ein um so größeres Verbrechen am Proletariat. Ich ziehe Leute vor, die ihren Abstand von den Zielen des revolutionären Proletariats in aller Offenheit bekunden, so
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