Das Luxemburg-Komplott
wie Eduard Bernstein, der Papst der Revisionisten, der übrigens auch sagt, Deutschland habe den Krieg verursacht. Aber einer, der sich zum Streikführer und zum Revolutionsführer machen lässt, allein mit dem Ziel, Streik und Revolution zu unterdrücken, so einer kann nicht Nachfolger August Bebels sein, sondern nur Handlanger der Konterrevolution. So einer setzt Mordsöldner gegen revolutionäre Arbeiter ein. So einer lässt den Bluthund Noske auf die Revolution los. So einer gehört vor Gericht, wenn die Arbeiterklasse die Macht ergreift.«
Die letzten Sätze schrie sie heraus, und der Saal begriff, dass sie fühlte, was sie sagte. Auch Zacharias war ergriffen über diesen Ausbruch, der so emotional war, wie er einer eigenen, unabweisbaren Logik folgte. Erst leiser Beifall, dann schwoll er an zum Sturm. Er erklang auch aus Ecken, wo zuvor noch Gegenwehr zu spüren war. Die Stimmung im Saal schlug um. Jeder spürte es.
Einer rief: »Das macht uns nicht satt!«
»Stimmt, das macht euch nicht satt«, erwiderte Rosa. »Worte machen niemanden satt. Aber wer sich weigert, Lebensmittel zu transportieren und Kohle auch, der darf sich nicht beklagen, er hungere oder friere. Und vergesst nicht, den Hunger haben die über uns gebracht, die den Krieg begonnen haben und ihn immer weiter führten, auch als der Sieg zum Wolkenkuckucksheim geworden war, und die immer neue Eroberungen planten und die Ausplünderung der besetzten Staaten. Denkt an den Vertrag von Brest-Litowsk. Mit diesem Vertrag haben die Hindenburg und Groener, die neuerdings besten Freunde des formidablen Sozialisten Ebert, der Entente das Vorbild geliefert. Wer Brest-Litowsk erpresst hat, wie soll der gegen den drohenden Friedensvertrag für Deutschland protestieren, ohne schamrot zu werden. Der Hunger, Genossinnen und Genossen, ist ein Bruder des Kriegs, und den haben Ebert und Konsorten mit verbrochen. Deswegen auch müssen sie vor Gericht, damit vor aller Augen enthüllt wird, wer die Verantwortlichen für die Katastrophe sind, die uns hinterlassen wurde. Und wer will einer Regierung die Treue halten, die euch nur verraten hat, deren einziger Daseinsgrund der Verrat ist, wofür sinnbildlich die Geheimleitung zwischen Ebert und Groener steht, die nichts anderes symbolisiert als den gemeinsamen Angriff auf das Proletariat?« Der Beifall schwoll zu einem Sturm an. Nur aus einer Ecke hörte man Pfiffe und Rufe, die aber der Lärm der Zustimmung bald erstickte. Einige wenige verließen die Halle, andere gesellten sich zu der Versammlung hinzu.
Beifall auch, als dann Hugo Haase das Wort ergriff und erklärte, man werde die diplomatischen Beziehungen mit Sowjetrussland wieder aufnehmen. Der bevollmächtigte Vertreter der Sowjetregierung, Karl Radek, habe versprochen, dass die russischen Arbeiter und Bauern den deutschen Arbeitern trotz eigener Not Nahrungsmittel und Kohle schenken wollten. »Wollt ihr das dann auch nicht befördern?« rief Haase.
Nach den Reden stimmte eine große Mehrheit einer Resolution zu, in der die Versammelten die Revolutionsregierung unterstützten und ein Tribunal gegen die Augustverbrecher forderten.
Auf der Rückfahrt sagte lange niemand etwas. Rosa und Haase waren erschöpft, Nächte ohne Schlaf und steter Streit raubten ihnen die Kraft. Dann sagte Rosa doch: »Ein Brandherd ist gelöscht, tausend weitere gibt es im Land. Und viel zuwenig Feuerwehren.« Dann schaute Rosa müde Zacharias an, ihr Blick verharrte einen Moment lang auf seinem Gesicht. »Sie sind müde, Genosse Zacharias. Sie können heute abend nach Hause gehen. Die Regierung ist im Hotel Kaiserhof untergebracht. Das wird gut bewacht, und wie es scheint, haben die Mörderbanden Berlin zeitweilig verlassen. Um mit Verstärkung zurückzukehren. Aber so schnell schießen die Preußen nicht.«
Der Wagen hielt an einer Straßenbahnhaltestelle, Zacharias stieg aus. Er fand einen Sitzplatz in der Straßen bahn und lehnte seinen Kopf an die Scheibe. Wahr scheinlich gucke ich so dumpf wie dieser Alte da, der weiter vorne saß und durch Zacharias hindurchschaute. Draußen tanzten Schneeflocken. Er erinnerte sich an Weihnachten vor dem Krieg. An den Vater, der nie viel redete, aber eine Geborgenheit ausstrahlte, die einzigartig war. Und Margarete, er musste mit ihr sprechen. Trotz seiner Anspannung erschien immer wieder ihr Bild in seinen Gedanken. Aber es war das alte Bild, ihr knochiges Gesicht war ihm noch fremd.
Seine Schritte führten ihn zur Wohnung ihrer Familie. Er
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