Das Luxemburg-Komplott
binnen weniger Stunden aufbauen?« warf Zacharias ein. »Sie verlangen zuviel. In Russland hat es doch auch nicht von heute auf morgen geklappt. Das tut es immer noch nicht. Die russische Wirtschaft existiert fast nicht mehr, das wissen Sie so gut wie ich. Die Arbeiter plündern die eigenen Fabriken, um die Beute auf dem Land gegen Essbares zu tauschen. Unsere Regierung wird die Arbeiter in den Betrieben überzeugen, was Sozialisierung heißt. Das hat doch vorher niemand genau bestimmt, und das braucht Zeit. Ich will jetzt gar nicht von solchen blumigen Zukunftsverheißungen reden wie in Bebels Frau. «
»Aber die Macht haben die Bolschewiki nie geteilt, auch wenn die Linken Sozialrevolutionäre sich einbilden, sie hätten etwas zu sagen. Ich bin mal gespannt, ob es dem Genossen Däumig gelingt, einen Sicherheitsapparat aufzubauen. Er hat alles an sich gerissen: die Rote Armee, die Miliz. Aber passiert ist nichts, und, noch schlimmer, es wird nichts passieren.«
Zacharias wunderte sich über den Pessimismus, den Friesland verbreitete. Es wäre jeder denkbaren Regierung unmöglich gewesen, alle diese Forderungen in so kurzer Zeit zu erfüllen. »Ich habe keinen Zweifel, die Genossen Volkskommissare sitzen beisammen und ergreifen die Maßnahmen, die erforderlich sind. Sie machen sich zu viele Sorgen.« Machte er sich Sorgen oder sammelte er Argumente gegen Rosa?
Zacharias erinnerte sich an Bronskis Besuch. »Der Genosse Bronski hat mich zu Ihnen geschickt. Dserschinski und, so sagt jedenfalls Bronski, Lenin fordern uns auf, eine Fraktion zu bilden gegen den Einfluss von Rosa Luxemburg.«
Sonja schenkte Tee ein. Friesland griff nach seiner Tasse und trank. »Ich würde es ein wenig anders sagen. Wir bekämpfen nicht die Person, die brauchen wir, das ist eine Ikone der Revolution, wenn Sie mir den religiösen Vergleich gestatten. Aber sie sollte sich auf ein Dasein als Ikone beschränken, denn was sie in der Praxis versucht, endet im Untergang. Anders gesagt, was sie tut, arbeitet dem Feind in die Hand. Gewiss nicht bewusst, aber ab einem bestimmten Grad von Verblendung spielt es keine Rolle mehr, ob man es bewusst tut oder unbewusst. Man kann von so einer klugen Person verlangen, dass sie es irgendwann begreift. Aber Luxemburg und ihr Alter ego Jogiches werden die deut sche Revolution verhunzen, im unausgesprochenen Bündnis mit Haase, Dittmann und den anderen USP-Strategen, denen Luxemburg zu radikal ist und die sich vor lauter Feigheit und Zögern lieber selbst abschlachten lassen, als ein paar Leute an die Wand zu stellen. Gerade wird mir aus Moskau berichtet, unser Delegierter bei der neuen Internationale, dieser Genosse Eberlein, halte sich stur an den Beschluss der Zentrale, die Internationale nicht mitzugründen. In vielen Ländern wird das Proletariat immer stärker, hier und da greift es zur Macht oder steht dicht davor, aber die deutschen Kommunisten haben Zweifel, ob diese neue Internationale nicht ein Zusammenschluss von Sekten sei, ob man nicht linke Sozialdemokraten mit hineinnehmen soll, und was es da noch an Dummheiten gibt. Luxemburg und Jogiches werden nie begreifen, dass nur eine Methode zum Sieg führt, und das ist die bolschewistische. Sie haben sich schon vor dem Krieg erlaubt, ihre polnische Zwergpartei auf eigenem Kurs zu halten und in der alten Internationale groß aufzutreten. Schon damals haben sie sich mit Lenin angelegt, gerade Jogiches hat da einiges angehäuft auf seinem Schuldkonto.«
Er war wütend, aber vielleicht redete er sich nur in Rage, um sich selbst zu überzeugen. Zacharias fand es übertrieben. Wie soll man eine Revolution bewerten, die gerade erst angefangen hat?
Es klopfte an der Tür. Sonja ging hinaus. Sie kehrte zurück mit Pieck. Der sah müde aus und zerschlagen. Pieck schaute zweifelnd auf Zacharias, dann zu Friesland.
»Er gehört zu uns«, sagte Friesland.
»Im Osten wird gekämpft, Freikorps haben Königsberg besetzt und ein paar andere Städte. Sie haben die Genossen abgeschlachtet. Gefangene werden nicht gemacht. Däumig hat erklärt, dass die bewaffneten Arbeiter diesem Beispiel nicht folgen würden. Gefangene würden human behandelt. Wo möglich, soll man sie freilassen, wenn sie versichern, nie wieder die Waffe gegen die neue Regierung zu richten.« Er lachte böse. »Das ist lächerlich. Aber Luxemburg hat ihn unterstützt, Liebknecht auch. Immerhin haben sich nun auch in Berlin Einheiten der Roten Armee gebildet. Wir erwarten den Gegenschlag von Noske,
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