Das Luzifer Evangelium
Seitenstraße. Er ließ den Motor laufen. Mit etwas Glück würde ein Autodieb zugreifen und die Polizei verwirren. Er lief zurück zur Hauptstraße und öffnete die Tür seines Tabakhändlers. Der Mann hieß Giovanni, wie er selbst, und allein diese Tatsache war ihm Grund genug gewesen, sich nicht nur zu Nobiles festem Lieferanten frischen Pfeifentabaks, sondern auch zu seinem Vertrauten und Freund auszurufen. Die Türglocke klingelte eifrig. Der Tabakhändler, der auf den ersten Blick nicht größer als einen Meter zwanzig, dafür aber ebenso breit wirkte, saß auf einem Schemel hinter dem Ladentresen.
»Giovanni!«, sagte Giovanni.
»Giovanni!«, sagte Giovanni.
Das war ihr ganz persönlicher Spaß.
»Wie Sie aussehen!«, sagte der Tabakhändler und deutete auf Jacke und Hut.
»Sie müssen mir helfen«, sagte der Professor.
»Stets zu Diensten!«
»Ich meine das ernst. Ich bin von Ihnen abhängig.«
»Umso mehr freut es mich, Ihnen zu Diensten sein zu können.«
»Es geht um Silvana, sie ist in Lebensgefahr. Und ich mache keine Witze.«
Das Gesicht des Tabakhändlers mit dem grauen Schnurrbart, den buschigen Augenbrauen, der Kartoffelnase und den tiefen Poren wurde ernst. »Ist dem kleinen Engel etwas passiert?« Er war einer der wenigen Fremden, von denen Silvana sich verwöhnen ließ.
Er reichte Giovanni den Aktenkoffer. »Können Sie auf den aufpassen, bis ich komme und ihn abhole?«
»Natürlich, mein Freund, natürlich.«
Der Tabakhändler nahm den Koffer entgegen.
»Am besten verstecken Sie ihn.«
Der Tabakhändler ging in ein Hinterzimmer und schob den Koffer in einen Schrank.
»Geben Sie diesen Koffer niemandem außer mir.«
»Ehrensache.«
»Auch nicht der Polizei.«
Der Tabakhändler zog eine Augenbraue leicht hoch.
»Ich erkläre es Ihnen später. Ich vertraue Ihnen!«
»Das können Sie auch.«
Giovanni verließ den Tabakladen durch die Hintertür, überquerte den Hinterhof und ging durch den Keller, dann trat er nur wenige Straßen von seinem Haus entfernt auf eine Seitenstraße. Er zog sich die Hutkrempe in die Augen und hastete weiter. Vermutlich überwachten sie den Eingang seines Hauses, doch er konnte niemanden entdecken. Vielleicht hatten sie eine der Wohnungen in der Straße angemietet und beobachteten ihn versteckt durch eine Gardine. Er ging ins Haus und stürmte mit großen Schritten die Treppe hoch. Es war fünf vor vier.
*
Luciana war nicht zu Hause. Hat diese Frau denn kein Schamgefühl? Dafür wartete auf dem Küchentisch ein Zettel auf ihn: Bin unterwegs! L. Er trat ans Wohnzimmerfenster und sah nach draußen auf die Straße. Die Polizei konnte nicht mehr weit entfernt sein. Er hörte eine Sirene. Ruft an! , dachte er. Ruft jetzt an! Die Sirene kam näher. Dann erstarb sie plötzlich. Ein Polizeiwagen bog um die Ecke und blieb vor dem Eingang stehen. Ruft verdammt noch mal an!
Das Telefon klingelte exakt um sechzehn Uhr. Er riss den Hörer von der Gabel. »Ich habe jetzt keine Zeit zu sprechen. Die Polizei ist auf dem Weg zu mir in die Wohnung. Kommen Sie zum oberen Ende der Spanischen Treppe. In einer halben Stunde!« Er legte im selben Moment auf, in dem die Polizei bei ihm klingelte und an die Tür klopfte. »Polizei! Aufmachen!«, riefen mehrere Stimmen. Er öffnete das Fenster zum Hinterhof und kletterte auf das schmale Dach. Von dem kleinen Balkon seines Nachbarn stieg er auf die Feuerleiter und war bereits unten im Hof, als er hörte, wie die Polizei oben in seiner Wohnung die Tür aufbrach. Er schlüpfte in den Tordurchgang und gelangte von dort in eine Seitenstraße. Niemand wartete auf ihn.
*
Als der schwarze Mercedes angerollt kam, stand er versteckt hinter ein paar geparkten Autos im Schatten der Jungfrau-Maria-Säule auf der Piazza Trinità dei Monti gegenüber der Spanischen Treppe. Er erkannte sie sofort. Der Großmeister saß auf dem Beifahrersitz. Einer der jungen Muskelprotze fuhr den Wagen. Sie rollten so langsam vorbei, dass es ihm gelang, die Tür im Fond zu öffnen und sich während der Fahrt auf die Rückbank zu schieben, wo bereits der Primus Pilus und der andere Muskelmann saßen. Niemand sagte ein Wort. Der Fahrer beschleunigte. Silvana war wie erwartet nicht im Auto. Trotzdem hatte er sich Hoffnungen gemacht.
»Ich sehe, Sie kommen mit leeren Händen, Professor Nobile«, sagte der Großmeister.
»Ich bin nicht dumm. Wo ist Silvana?«
Sie fuhren schweigend weiter.
»Sie sind tatsächlich handgreiflich geworden, Professor. Wir sind
Weitere Kostenlose Bücher