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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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einstudiert?«
    Clara kam es vor, als wäre durch die Rückkehr des Vaters ihre Welt wieder in Ordnung gekommen. Ernestine nahm wieder ihre Rolle als ehrgeizige Schülerin auf und übte fast den ganzen Tag. Allerdings bat sie, Friedrich Wieck möge ihr die täglichen Spaziergänge erlassen. Die regelmäßige Belastung sei zu viel für ihre zarte Konstitution und verursache ihr Schmerzen in der Brust.
    Friedrich Wiecks erste Reaktion war ein heftiges Stirnrunzeln. Nach einem verstohlenen, unwilligen Blick auf den bedrohten Körperteil kam er jedoch zu dem Schluss, dass er für ein diesbezügliches Urteil nicht kompetent war. »Dann denken Sie wenigstensimmer daran, sich kerzengerade zu halten!«, bestimmte er mürrisch. »Und vor allem: tief atmen! Atem ist Leben.«
    Atem ist Leben, das dachte auch Clara, wenn sie von nun an wieder allein in die Natur hinausmarschierte: doppelt, nein, dreimal so schnell wie noch vor wenigen Tagen. Zwar gab es nun nichts mehr zu lachen, aber sie brauchte auch nicht mehr das Gefühl zu haben, man nehme sie nicht für voll. Entschlossen zwang sie sich, nicht an Robert Schumann zu denken, von dem sie sich noch immer missachtet fühlte. Dennoch: als er eines Nachmittags plötzlich hinter der großen Eiche hervortrat, wo er auf sie gewartet hatte, hüpfte ihr Herz vor Freude und aller Groll war vergessen.
    Von nun an schloss er sich ihr immer wieder an – nicht für den ganzen Spaziergang, wohl aber für die letzte Stunde. Wie früher, als es noch keine Ernestine gab, sprachen sie über Musik und über ihre Wünsche an die Zukunft. Wieder nannte er sie seine Seelenverwandte und vereinbarte mit ihr ein telepathisches Experiment, von dessen Erfolg er überzeugt war: In der Nacht, um Punkt elf Uhr, wenn der Mond schon aufgegangen war, sollten sie sich beide ans Klavier setzen und das Adagio aus Chopins »Variationen« spielen. Dabei sollten sie in höchster Intensität aneinander denken und sich vorstellen, dass sich ihre Doppelgänger in ebendiesem Moment am Thomaspförtchen trafen. »Vielleicht gibt uns das Schicksal dann sogar ein Zeichen, und an deinem und an meinen Klavier zerspringt im selben Augenblick eine Saite«, fügte Robert Schumann lächelnd hinzu.
    Auch Clara lächelte. Der Gedanke gefiel ihr, obwohl sie ihn gleichzeitig für vollkommen verrückt hielt. Der Herr Schwärmerer!, dachte sie nachsichtig, versprach aber, am Abend ganz gewiss zur Stelle zu sein: am Klavier und am Thomaspförtchen, Clara und Zilia, Robert und Eusebius – oder gar der wilde Florestan?
    Nie hätte sie am folgenden Nachmittag zu gestehen gewagt, dass sie am Klavier eingenickt und erst gegen Mitternacht wieder aufgewacht war. Robert Schumann aber lächelte beglückt undberichtete, er habe ihre Seele gespürt. Von Ernestine war keine Rede mehr, obgleich August berichtete, die beiden träfen sich heimlich im Haus der Madame Voigt und angeblich sogar in Robert Schumanns eigener Wohnung.
    Clara hörte Augusts Bericht an und zuckte die Achseln. Eigentlich wollte sie gar nicht Bescheid wissen. Sie war zufrieden. So wie es war, war es schön. Sogar zu den Treffen der Davidsbündler nahm Robert Schumann sie nun hin und wieder mit, obwohl bisher noch nie ein weibliches Wesen bei diesen Zusammenkünften zugelassen war. »Eine Komponistin«, begründete Robert Schumann die Übertretung der Regeln. »Eine Künstlerin. Für dich soll keine Tür verschlossen bleiben.«
    Clara war glücklich. Sie saß im Hinterzimmer des »Kaffeebaum« und trank mit Robert Schumanns Freunden bayrisches Bier. Sie hörte zu und war es zufrieden, dass man sie kaum beachtete. Es war schon viel, dass man sie nicht ausschloss. Sie stand nicht mehr im Schatten, während sich die Erwachsenen amüsierten. Sie durfte zumindest dabei sein.
    So fing sie an, systematisch die Bücher zu lesen, von denen jene sprachen, die Schwärmerer, die die Freiheit wollten und ihre Fantasie mit Gespenstergeschichten knebelten. Eine Welt der Dunkelheit beschworen sie herauf, voller geheimnisvoller Kräfte und unterdrückter Leidenschaften. Ein wenig märchenhaft, dachte Clara. Vielleicht sogar ein wenig kindisch, wenn man es mit Friedrich Wiecks realistischem Blick betrachtete, den sich Clara längst angeeignet hatte. Aber doch auch irgendwie schön und poetisch, selbst wenn die telepathischen Experimente, die Robert Schumann so sehr fesselten, nicht funktionierten.
    Es war deshalb bestimmt keine Lüge, sondern eher ein Freundschaftsbeweis, wenn Clara ohne

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