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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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ihr Gatte würdeein wenig länger bei den Seinen bleiben. Auch wenn er nicht der zärtliche Vater war, der alle um sich scharte, vermittelte er doch durch seine bloße Anwesenheit im Haus ein Gefühl der Sicherheit. »Wann willst du fahren?«, fragte Clementine und wandte sich ab.
    Friedrich Wieck schüttelte den Kopf und trat auf sie zu. »Natürlich jetzt noch nicht, Tinchen!«, versicherte er und wollte sie umarmen.
    Doch Clementine wich zurück. »Wie auch immer!«, murmelte sie abweisend. Dann ging sie aus dem Raum und hinüber ins Kinderzimmer, um nachzusehen, ob Marie und Cäcilia noch atmeten.
    Auch Clara war bedrückt und weinte oft, wenn sie allein war. Wie eine Welle brach die Trauer immer wieder über sie herein, einer Erinnerung gleich, die sich nach und nach selbstständig machte, sodass Clara nun manchmal leise aufschluchzte, ohne dabei überhaupt an Clemens zu denken. Es war nur noch der Schmerz an sich, der in ihr weiterlebte, und vielleicht sogar die Angst, auch selbst ausgeliefert zu sein.
    »Du bist eine Künstlerin, Clara«, sagte ihr Vater einmal zu ihr, als er bemerkte, dass sie Tränen in den Augen hatte. »Wenn du leidest, wird es deine Kunst verfeinern. Nur wer leidet, kann verstehen, und nur wer versteht, kann auch andere mit sich reißen.« Dann ließ er sie allein, um im Logier’schen Institut nach dem Rechten zu sehen. Es war wohl wirklich noch zu früh, Clara schon wieder den Strapazen einer Tournee auszusetzen. Zwei, drei Wochen noch, dachte er bedauernd. Zwei, drei Wochen, dann werden die Tränen versiegt sein und der kleine Russe ist wieder stark genug, die Welt zu erobern.
    In der Zwischenzeit ging Clara ihrer Routine nach und schrieb darüber hinaus jede Woche mehrere lange Briefe an Mila, die noch immer nicht von ihrer Reise zurückgekehrt war. Zurzeit hielt sich die ganze List-Familie in Paris auf, wo der Konsul die Werbetrommel für den Bau von Eisenbahnen rührte. »Chemin de fer« war nun wohl das meistgebrauchte Wort in der Familie.Clara fürchtete bereits, Mila würde nie mehr nach Leipzig zurückkehren.
    Der Gedanke, Mila vielleicht zu verlieren, trug noch das seine zu Claras Kummer bei. »Komm bald wieder, liebste Freundin!«, schrieb sie in ihrer krakeligen, kindlichen Schrift, für die sie sich schämte. »Vergiss nicht: Ich bleibe auf immer Deine stolze, eitle, bescheidene, kindische, treue, treue, ewig treue Clara.« Dabei hoffte sie, dass womöglich schon morgen wieder ein Brief aus Paris eintreffen würde, ebenso ausführlich und ebenso vertraulich wie Claras Schriftstücke aus Leipzig. Oh, wie sehnte sie sich danach, die Freundin endlich wiederzusehen, in endlosen Gesprächen mit ihr die eigene, schwierige Welt verstehen zu lernen und Ordnung im Durcheinander der vielen unverstandenen und beunruhigenden Gefühle zu schaffen! Was bedeutete da schon, dachte sie, die Seelenverwandtschaft mit einem Erwachsenen, der sie bei aller Telepathie und Doppelgängerei ja doch nie verstehen würde!
    Jeder im Hause schien mit sich selbst beschäftigt zu sein. Da Friedrich Wieck es nirgendwo länger als fünf Minuten aushielt, versenkte sich Clara immer tiefer in ihr eigenes Schaffen. Wenn sie eines der kurzen Stücke, die ihr am meisten lagen, fertiggestellt hatte, war sie zunächst immer davon begeistert. Bald aber fing sie an zu zweifeln. Immer öfter kehrte sie ans Klavier zurück, spielte alles noch einmal und stellte alles in Frage.
    Noch vor Ernestines Ankunft hatte Clara Robert Schumann ihr »Romance varié pour le Piano« gewidmet, sieben Variationen, die ihr als Pianistin alle Möglichkeiten boten, das Publikum mit ihrer Virtuosität zu beeindrucken. Das Herz klopfte ihr vor Genugtuung, wenn sie mit einem überwältigenden Kadenzgedonner ihren Vortrag abschloss. Kein Wunder, dass sie meinte, auch Robert Schumann müsse davon beeindruckt sein.
    Welche Enttäuschung daher, als er auf ihre Widmung nur mit unverbindlichen Schmeicheleien antwortete, hinter denen sie sogar Sarkasmus zu entdecken glaubte. Eine »helle Sonne«nannte er sie. Ihr Werk sei so bedeutend, dass ihm selbst nur die Rolle des Mondes bleibe. Im Vergleich zu ihr sei er eine »niedrige Ulme«, die vom »edleren Weinstock« – also Clara – aufgezogen werde. Zu allem Überfluss überreichte er ihr einige Tage später einen »kleinen musikalischen Gedanken«, seine »Impromptus« , in denen er Claras Werk »geistreich bearbeitete«.
    Ein Geschenk an Clara sollten die »Impromptus« sein, in Wahrheit aber

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