Das Maedchen am Klavier
Erröten flunkerte, ein geheimnisvoller Schwindel habe sie erfasst, als ihre Doppelgängerin am Thomaspförtchen stand und auch sie selbst, Clara, sich plötzlich an jener Stelle befand. »Ich meinte, Clara und Zilia wären eins geworden«, versicherte sie Robert Schumann und glaubte es fast schon selbst. Er aber hatte Tränen in den Augen und drückte ergriffenihre Hände. Wessen Hände wohl? Claras? Zilias? Oder die Hände einer Fantasiegestalt, die er sich ausgedacht hatte, weil er glaubte, sie würde seinem Leben die ersehnte Erfüllung bringen?
3
In einer regnerischen Sommernacht gebar Clementine ihr drittes Kind, wie das erste wieder ein Mädchen. Sie war erleichtert, denn sie wusste, dass ihr Gatte Töchter vorzog. Es war eine leichte Geburt. Sogar die Hebamme wunderte sich darüber und meinte ein wenig verdrießlich, wenn alle Kinder so reibungslos zur Welt kämen, könne sie ihren Beruf an den Nagel hängen. »Ein schönes Kind!«, erklärte sie dann, wie nach jeder Geburt. Mütter und vor allem Väter erwarteten dieses Lob, selbst wenn der Hebamme manchmal eher die Bemerkung auf der Zunge lag, »es« würde sich schon noch auswachsen, oder es sei eben für das arme Würmchen ein schwerer Kampf gewesen, sich aus dem schützenden Mutterschoß zu befreien. Kein Wunder, dass es danach etwas ramponiert aussehe. Das neue kleine Mädchen im Hause Wieck war allerdings wirklich ein recht hübsches Kind, dachte die Hebamme. Hübscher jedenfalls als der kleine Brüller, um dessen Schönheit seine Mutter seinerzeit so viel Aufhebens gemacht hatte.
Ein schönes Kind? Im Zwielicht des aufkommenden grauen Morgens betrachtete Clementine das zarte Gesichtchen neben sich auf dem Kissen. Um es noch besser sehen zu können, stützte sie sich auf den Ellbogen. So winzig!, dachte sie und erinnerte sich zugleich daran, dass sie nach den früheren Geburten zu schwach gewesen war, um sich aufzurichten. So winzig. Aber irgendwie schon richtig ausgeprägt. Das Gesicht eines kleinen Menschen eben. Nicht eigentlich schön, aber genau richtig. Ein Menschlein, wie es sich gehörte. Keine Fremdheit stand zwischen Mutter und Säugling. Keine Illusion vom schönsten Kind der Welt – Selbstbetrug,der wohl dazu gedient hatte, über das Fehlen dessen hinwegzutäuschen, was Clementine von sich selbst verlangt hatte: unvergleichliche Freude und überwältigende Mutterliebe.
Was sie jetzt empfand, war etwas ganz anderes, das sie gar nicht benennen konnte. Jedenfalls war es ein gutes Gefühl, ein wohliges Gefühl, eine Mischung aus Dankbarkeit und Zufriedenheit. Dankbarkeit, nicht nur weil das Kind nun da war und offenkundig alles mit ihm stimmte, sondern auch dafür, dass die Schmerzen erträglich gewesen waren, dass die Geburt nicht zu lang gedauert hatte und sie selbst sich wohl bald erholt haben würde. Dankbarkeit auch, dass ihr Ehemann diesmal neben ihrem Bett saß und ihre Hand hielt. Dankbarkeit, dass er so ruhig war und so sanft wie sonst nie, außer vielleicht Clara gegenüber.
»Wenn es dir recht ist, könnten wir sie Cäcilia nennen«, schlug er vor. Seine Stimme war leise und zitterte.
»Cäcilia«, wiederholte Clementine. »Das ist ein schöner Name. Die Patronin der Kirchenmusik, nicht wahr?«
Er nickte kaum merklich.
Clementine begriff, dass ihm dieser Name viel bedeutete.
In diesem Moment öffnete die Kleine die Augen. Sie blickte in die graue Morgenwelt und dann auf ihre Eltern, die sich vorbeugten, um dem neuen Menschenwesen ihre Gesichter zu zeigen. Ernst und forschend schaute das Kind sie an, als hätte es aus einer anderen Welt ein geheimes Wissen mitgebracht, das ihm half, alles zu verstehen.
»Cäcilia!«, flüsterte Friedrich Wieck heiser, und auf einmal wusste Clementine, was jene meinten, die sagten, man könne fast sterben vor lauter Seligkeit.
An den folgenden Tagen regierte das Glück in der Grimmaischen Gasse. »Es ist so schön alles«, sagte sogar Alwin eines Abends zu Clara. Dann schwieg er verwirrt, weil er sich selbst nicht wiedererkannte.
Am Morgen, beim Frühstück, saß die Familie beisammen und sogar Friedrich Wieck trank seinen Kaffee im Sitzen. Clementinethronte den ganzen Vormittag lang rotbäckig im Bett und empfing wie eine Königin ihre Gratulanten. Überall standen Blumen und im Logier’schen Institut spielte man Mozart. Die rundliche Amme aus Connewitz gestand, sie habe noch nie einen angenehmeren Posten gehabt, und ein Konkurrent aus Wien, der die Klavierfabrik besichtigte, rieb sich
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