Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
Vom Netzwerk:
Widersprüche! Er hat mich vernichtet. Er hat mir sein Messerins Herz gestoßen. So viel habe ich ihm schon verziehen, doch dafür gibt es keine Entschuldigung mehr.« Clara spürte, dass er weinte. »Ich dachte immer, er wäre ein edler Mensch«, fuhr Robert Schumann fort. »Ein wenig hatte ich sogar Verständnis für ihn. Ich dachte, er hielte dich für zu jung zum Heiraten und hätte Angst, eine frühe Ehe könnte deine Karriere zerstören und dein Talent vergeuden.« Er machte sich los, packte Clara an den Schultern und starrte ihr ins Gesicht. »Aber nein! Nein! So denkt dieser Mann nicht. Das Einzige, was ihn interessiert, ist Geld. Geld und immer nur Geld. Seine Tochter ist ihm nur wichtig, so lange sich mit ihr Profit machen lässt. Glaube mir, er wirft dich dem Erstbesten zu, der genug Geld und Titel hat.« Er lachte unfroh. »Von einem solchen wird sich Meister Raro dann einfach ausbezahlen lassen. Ein tüchtiges Sümmchen – und er verschachert seine begabte Tochter wie ein wohlgestimmtes Klavier aus seiner Produktion. Abfindung nennt man das. Aber einer wie er kann sich so etwas leisten, und darum kommt einer wie ich als Schwiegersohn für ihn auch nicht in Frage.«
    Clara schüttelte den Kopf. »So etwas darfst du nicht sagen, Robert!«, flehte sie. »Damit tust du ihm unrecht.«
    »Er sagt, du seist an einen großzügigen Lebensstil gewöhnt«, fuhr Robert Schumann verbittert fort. »Er sagt, ich sei nicht in der Lage, dich zu ernähren. Er sagt, ich wolle mich nur an dich hängen, um mich von dir durchfüttern zu lassen. Noch nie im Leben bin ich so beleidigt worden!«
    Clara hielt ihn fest und streichelte sein Haar. Selbst in dieser verzweifelten Stimmung fiel ihr auf, wie weich und lockig es war. Oh, wie sie diesen Menschen liebte! »Was sollen wir tun, Robert?«, fragte sie. »Wie soll es weitergehen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Am liebsten würde ich davonlaufen«, gestand er. »Weit weg, am liebsten ans Ende der Welt, wo mich keiner kennt und ich diesem Mann nie mehr begegnen muss.«
    Doch Clara beharrte auf ihrer Frage. »Wie soll es weitergehen?«
    Er fasste sich ein wenig. »Wenn du es noch willst, können wiruns vorläufig genau so treffen wie bisher. Heimlich, obwohl wir jedes Recht hätten, uns zueinander zu bekennen.«
    »Und wie lange soll das so gehen?«
    »Erst einmal bis zu eurer Tournee. Dresden, Prag und natürlich Wien. Dort wirst du bestimmt viel Geld für ihn verdienen.« Wieder lachte er. »In einem Punkt war er übrigens äußerst großzügig: Er hat erlaubt, dass wir während der Tournee miteinander korrespondieren.«
    Clara atmete auf. Vielleicht war doch nicht alles verloren. Schon oft hatte sie erlebt, dass ihr Vater brüllte wie ein Löwe und zuletzt doch nachgab. »Wir dürfen den Mut nicht verlieren, Robert«, sagte sie sanft. »Am Schluss werden wir uns durchsetzen.«
    Robert Schumann löste sich aus ihrer Umarmung. »Das haben bestimmt auch vor uns schon viele gehofft«, sagte er mit einer Stimme, die plötzlich kalt und sachlich klang. »Ich frage mich, was aus ihnen allen geworden ist.«

Souvenir de Vienne
1
    Sie hatte Paris gesehen, Berlin und Prag. Fast meinte sie schon, viel wirklich Neues könne ihr nicht mehr begegnen. So sehr jede Metropole Europas davon durchdrungen war, einzigartig zu sein, so ähnlich waren sie alle in Claras Augen. Vielleicht lag es daran, dass ihr Vater nie Wert darauf gelegt hatte, seine Tochter mit der Vergangenheit der Welt, in der sie lebte, vertraut zu machen. Hin und wieder rollte vor ihre Füße wie ein farbiger Ball der Name eines Menschen, der in den Lauf der Geschichte eingegriffen hatte und deshalb unvergessen blieb. Ein Mann wie Napoleon war ihr ein Begriff. Doch er und all die anderen, die es längst nicht mehr gab, standen für Clara in keinem Zusammenhang zueinander. Die Vergangenheit war für sie keine Kette von Entwicklungen und Geschehnissen, sondern ein einziger dunkler Raum, undurchschaubar und unheimlich, und da sie nicht wusste, auf welchen historischen Fundamenten die Städte ruhten, die sie besuchte, war sie auch nicht in der Lage, Unterschiede und Besonderheiten zu erkennen, einzuordnen oder gar zu schätzen.
    Das änderte sich nur wenig, als sie – erst auf Robert Schumanns Anregung hin und bald darauf auch auf eigenen Wunsch – anfing zu lesen, von Jahr zu Jahr immer begieriger. Doch es waren fast nur Gedichte, Romane oder Erzählungen aus ihrer eigenen Zeit, die sich zwar gern auch mit der Vergangenheit

Weitere Kostenlose Bücher