Das Maedchen am Klavier
ihre Verachtung über den Tod hinaus.«
Durch helle Wälder und lauschige Dörfer mit zahlreichen kleinen Schänken näherten sie sich der Stadt. Clara wunderte sich nicht über die ärmlichen Vorstädte, bevölkert von Menschen mit novemberlich grauen Gesichtern. Da der Winter die Saison des gesellschaftlichen Stadtlebens und somit auch der Konzerte war, kannte sie die meisten Städte nur zu dieser Jahreszeit. Den Sommer verlebte sie dann zu Hause in Leipzig, das in ihrer Vorstellung immer mit geöffneten Fenstern verbunden war, durch die ein milder Lufthauch strich und die Gardinen leise bewegte.
Da man plante, mehrere Monate in Wien zu bleiben, hatte Friedrich Wieck ein kleines Haus mit zwei dazugehörigen Dienstboten gemietet. Das war bequemer und billiger als der Aufenthalt in einem Hotel. Als angesehener Künstlerin wäre für Clara nur das beste Haus am Platze in Frage gekommen, mit Preisen, die die Hälfte ihrer Gagen verschlungen hätten. Wobei man außerdem noch nicht einmal mit Sicherheit wusste, wie groß das Interesse des kapriziösen Wiener Publikums für das Fräulein aus Sachsen sein würde und ob demzufolge die Einkünfte in dem Maße sprudelten, wie Friedrich Wieck es sich erhoffte.
Doch der große Impresario hatte sich umsonst gesorgt. Clara war noch gar nicht angekommen, da stilisierte sie die Wiener Presse bereits zur gefährlichen Konkurrenz für den beliebten Pianisten Thalberg, und ihre Koffer waren noch nicht ausgepackt, da hatte man schon zum Wettstreit geblasen. Die Thalberg-Anhänger formierten sich und legten fest, bei welchen Veranstaltungen sie die kleine Sächsin auszischen würden – keine geheime Kabale, sondern ein offener Kampf, von dem alle schon vorher wussten und den alle genossen.
Vom »Clara-Krieg« sprach man, noch ehe Clara ihre Reisemüdigkeit abgeschüttelt hatte und ehe sich der verwöhnte Thalbergdamit abfand, dass man ihn ausgerechnet mit einer Frau in den Wettstreit schickte und dann auch noch mit einer, die zehn Jahre jünger war als er. »Lasst’s mich doch mit diesem Menscherl in Ruh’!«, wiegelte er gereizt ab und fragte sich nicht einmal, warum der ausgerufene Krieg nicht nach ihm benannt war. Nur zögernd und widerwillig nahm er das für ihn so absurde Duell zur Kenntnis, doch da musste er bereits erkennen, dass er es so gut wie verloren hatte.
Clara erfuhr gleich nach ihrer Ankunft von dem Künstlerkrieg, der ihr bevorstand, doch sie machte sich nur wenig Sorgen. »Für morgen hat sich meine Gegenpartei vorgenommen, mich auszuzischen«, schrieb sie an Robert Schumann, der sich eingestand, dass er selbst einer solchen Belastung nicht gewachsen wäre. »Sollen sie nur!«, fuhr Clara fort. »Du weißt ja, lieber Robert, ich bin ein gepanzertes Mädchen.«
Ein gepanzertes Mädchen, Papas kleiner Russe: Clara Wieck war keine romantische Elfe, die sich von jedem Windstoß umwerfen ließ. Sie war nicht das liebliche, unschuldige Schäferkind, als das der Dichter Grillparzer sie rühmte. Nein, sie war stark und kämpferisch und trotz aller Schumann’schen Kritik wusste sie, wie viel sie der strengen Erziehung ihres Vaters zu verdanken hatte.
Ein hübscher kleiner Salon, im biedermeierlichen Stil eingerichtet: Man konnte sich wohl fühlen in dem vorübergehenden Zuhause, das Friedrich Wieck für sich und seine Tochter in Wien angemietet hatte. Fast wie daheim in Leipzig konnte man sich hier in seine eigenen vier Wände zurückziehen und den Druck von draußen vergessen. »My home is my castle«, hätte der Engländer John Bull gesagt, der britische Verwandte des ehrsamen Herrn Biedermeier. Ein Haus wie eine warme, weiche Wolldecke. Alles so sauber, dass Clementine Wieck ganz sicher festgestellt hätte, hier könne man vom Fußboden essen. Die Tapeten und edlen Stoffe der Sitzbezüge, Vorhänge und Tischtücher in freundlichen Farben. Nirgendwo auch nur die geringste Demonstrationvon Macht und Stand. Bescheiden wollte man sich zeigen, denn alles andere hätte bei den strengen Behörden Misstrauen erregt. Klein, aber fein, so wünschte man sich sein Heim. Gut bürgerlich, nicht aristokratisch. Wir kennen unsere Stellung, hieß das. Wir sind gute Bürger, Stützen des Staates. Wir maßen uns nichts an, doch wir halten auf Qualität: in unserer Lebensweise und in den Gegenständen, mit denen wir uns umgeben ... Man achtete auf schlichte, aber vornehme Kleidung und feine Manieren und vermied alles, was gewöhnlich und aufdringlich war. Man blieb im eigenen Kreis
Weitere Kostenlose Bücher