Das Maedchen am Klavier
»Du saßest auf einem schönen Ross, das gerade fortspringen wollte, während ich vor Dir auf den Knien lag und Dich anflehte, mich mitzunehmen. Du aber sagtest nichts. Dein Pferd flog mit Dir davon und ich blieb zurück.«
Lieber Papa! Es ist erreicht!
3
Alles um Clara herum schien zu singen und zu klingen. An den ersten warmen Tagen war sie mit Emilie und Henriette nach Bougival übersiedelt. Die Schiffersleute, denen das Häuschen gehörte, in dem die drei wohnten, waren entzückt über die fröhlichen jungen Sommergäste, die den ganzen Tag musizierten, die ihre Miete pünktlich bezahlten und keine Saufgelage veranstalteten oder lüsterne Männer anlockten.
»Unsere Tage hier sind angefüllt vom Morgen bis zum späten Abend«, berichtete Clara ihrem heimlichen Verlobten. »Gleich nach dem Frühstück gehe ich ans Klavier. Ich übe, unterrichte Henriette, die jeden Tag besser wird, empfange auch ein paar Schülerinnen aus der Umgebung und vor allem, mein lieber, lieber Robert: vor allem komponiere ich wieder! Dazu gibt mir Emilie jeden Tag Englischstunden, damit ich gewappnet bin, wenn es eine Tournee nach England geben sollte.«
Wie zufrieden sie war mit sich selbst und mit ihrem Leben! Zum ersten Mal war sie wirklich frei und konnte tun und lassen, was sie wollte. Die Welt gehörte ihr, sie brauchte nur zuzugreifen. Eine Tournee nach England und Russland war keine Anmaßung mehr, wenn der Auftritt im Conservatoire so verlief, wie sie es sich wünschte. Wahrscheinlich würde der Hochzeitstermin zu Ostern 1840, mit dem Robert Schumann sicher rechnete, dann ein wenig zu früh sein. Aber man war ja ein freier Mensch und konnte disponieren, wie es sich als günstig erwies. Robert als Künstler würde verstehen, dass sie ihr Eisen schmieden musste,solange es heiß war. Die hohen Einkünfte, die ihr bevorstanden, würden auch zum Wohle des gemeinsamen Haushalts beitragen.
Ein freies Leben in vieler Hinsicht: Endlich ging es nun wieder jeden Nachmittag für mindestens zwei Stunden ins Freie. Weite, rasche Schritte, dass sich die Lunge füllte und der Kopf klar wurde. Erst jetzt spürte Clara wieder, wie jung sie war und wie gesund.
Die ganze Umgebung erkundeten die drei Mädchen: konzentrische Kreise, die immer weiter wurden. Einmal marschierten sie sogar bis nach Versailles: drei Stunden hin, drei Stunden zurück und dazwischen drei Stunden Besichtigung im Schloss und im Park, der ihnen als der schönste der Welt erschien.
Vorausblickend hatten sie genau jenen Tag gewählt, an dem die Wasserspiele vorgeführt wurden. »Noch nie habe ich etwas so Schönes gesehen«, berichtete Clara nach Leipzig, und ganz Tochter ihres Vaters, vergaß sie auch nicht, ihren romantischen Verlobten über die finanzielle Seite des Spektakels zu informieren. »Dreißigtausend Franc, lieber Robert, und das jeden Monat, zumindest während der warmen Jahreszeit!«
Das Schloss gefiel ihr weniger. »Zu viel Luxus, zu viel Pomp!« Dafür beeindruckte sie ein Porträt von Napoleon als Erstem Konsul. Sein Gesichtsausdruck kam ihr sehr nobel vor und sie überlegte, ob dieser wohl der Wahrheit entsprach.
»Was sagst Du zu unserer Unternehmungslust?«, fragte sie dann. »An mir bekommst Du eine tüchtige Fußgängerin. Nächstens wollen wir nach St. Germain marschieren.«
Sie arbeitete viel, aber sie vergnügte sich auch. Alles, was um sie herum geschah, interessierte sie auf einmal. Sie begann, Zusammenhänge zu erkennen, und dachte, dass Alfred von Schönburg sie jetzt wohl mit ganz anderen Augen sehen würde. Sie begriff, dass die Welt der Kunst und derer, die zu ihren Konzerten kamen, nur eine Facette dieser riesigen, unruhigen Stadt darstellte. Immer wieder schallte der Ruf »Révolution!« durch die Straßen, und das Volk sammelte sich. Lange Diskussionen und Geschrei,bis sich alles wieder auflöste. Bis zum nächsten Mal. Wirklich erloschen war die Flamme aber nie.
Clara spürte die Unzufriedenheit und die Rastlosigkeit um sie her und sie floh nicht davor. Als wieder einmal in Bougival davon geredet wurde, heute Morgen sei es besonders schlimm, fuhr sie mit der Dampfbahn in die Stadt und folgte dem Geschrei und den vereinzelten Schüssen. Als Zuschauerin, ganz nahe am Geschehen, erlebte sie mit, wie die Nationalgarde zusammengetrommelt wurde und wie vom Nachmittag an bis um Mitternacht in einem fort geschossen wurde. Die Tuilerien glichen einem Militärlager. Die ganze Nacht war das Schloss vom Militär umstellt, das im Schlosspark
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