Das Maedchen am Klavier
würde ihr Vater dann sagen, und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als ihm diesen Erfolg zu Füßen zu legen. »Was sagst du dazu, Papa?«, würde sie ihn fragen. »Bist du nun wieder zufrieden mit deiner Clara und nimmst sie zurück als deine liebe Tochter?«
Sie war überzeugt, dass Friedrich Wieck längst von ihren Erfolgen erfahren hatte. Heinrich Heine, der in derselben Straße wohnte wie Konsul List, hatte für diesen den Kontakt zur »Augsburger Allgemeinen« hergestellt. Clara erinnerte sich noch gut daran, dass ihr Vater bei ihrem ersten Pariser Aufenthalt inbrünstigauf eine wohlwollende Besprechung in ebendieser Zeitung gehofft hatte. Damals hatte ihm Heinrich Heine die kalte Schulter gezeigt. Für Clara aber war er nun zu sprechen. Sie weinte fast vor Freude, als ihr Konsul List mitteilte, er habe den Auftrag, über ihre bevorstehende Soirée bei Erard zu berichten sowie auch über ihre folgenden Konzerte.
Zum ersten Mal in ihrem Leben machte Clara die Erfahrung, was es bedeutete, an Lampenfieber zu leiden. Sie wusste, wie wichtig es für sie war, in dieser Saison mindestens zwei maßgebliche Konzerte vorweisen zu können, die nicht nur Achtungserfolge waren, sondern die das Publikum anrührten und begeisterten. Vorsichtshalber nahm sie deshalb auch keine neuen Stücke in ihr Programm auf. Trotzdem übte sie an den Tagen vor dem Konzert mehr, als für sie gut war. Dadurch wurde ihr zweiter Finger so reizbar, dass sie beim Üben schon nach einer Stunde vor Schmerzen nicht mehr spielen konnte. Sie verzweifelte fast und meinte bereits, das Konzert im Palais Erard müsse abgesagt werden.
Doch Pierre Erard, der immer so gern auf seinen Eigennutz pochte, erwies sich nun als guter Freund. Wortlos nahm er Clara am Arm, geleitete sie hinunter zu seiner Kutsche und fuhr mit ihr zu seinem Palais. Clara wehrte sich, es habe ja doch alles keinen Sinn. Am besten wäre es, gleich zu sterben. Mit ihrer Karriere sei es zu Ende. Ihren Vater würde es wahrscheinlich freuen. Er habe ja immer gesagt, ohne ihn sei sie nichts.
Dann öffnete sich die Tür zum Saal. Noch waren die Kerzen nicht angezündet, doch die Fenster standen weit offen und ließen das strahlende Sonnenlicht ein. Ein sanfter Lufthauch strich über Claras Gesicht. Erst jetzt sah sie, dass der ganze Saal mit Rosen und weißen Bändern geschmückt war.
»Wie bei einer Hochzeit«, sagte sie ergriffen.
»Wie am Beginn eines neuen Lebensabschnitts«, verbesserte sie Pierre Erard. »Hier fängt Ihre Zukunft an. Hier wird man lernen, Sie zu lieben. Von heute Abend an wird jeder wissen, dass es keine größere Pianistin gibt als Clara Wieck.« Dann umarmte er sie plötzlich. »Meine kleine Jeanne d’Arc!«, sagte er zärtlich,ohne zu wissen, dass er nicht der Einzige war, der sie so nannte. »Vergessen Sie Ihre Schmerzen! Kurieren Sie sich aus – doch nicht heute, sondern erst morgen! Heute gilt es zu kämpfen, ob Sie nun Schmerzen leiden oder nicht. Ich weiß, dass Sie das können.«
Als er sie losließ, nickte sie und lächelte unter Tränen. Diese Art der Ermunterung kannte sie. Wenn sie heute Abend stark war, würde es im fernen Leipzig einen Mann geben, der stolz auf sie war, und sie meinte damit nicht Robert Schumann.
Vom Siegeskranz, der Clara zuteilgeworden sei, konnte man am nächsten Morgen in der Presse lesen. Ihr Konzert sei eines der elegantesten gewesen, die es je in Paris gegeben habe. Der große Meyerbeer sagte sogar, Claras Spiel vereine in bewundernswerter Weise männliche Kraft und weibliche Grazie. Eine Flut von Einladungen in die vornehmsten Salons brach über Clara herein.
»Paris gehört Ihnen, meine Liebste!«, rief Pierre Erard in gewohntem Enthusiasmus. Danach konnte er nicht mehr an sich halten und küsste Clara schmatzend auf beide Wangen. »Es gehört Ihnen, zumindest beinahe schon.«
Clara runzelte die Stirn. Sie brauchte nicht zu fragen, worauf Erard anspielte. Ein Solist, der im Pariser Kunstleben wirklich verwurzelt sein wollte, musste sich auch am Conservatoire bewiesen haben. Erst wer dort Erfolg gehabt hatte, wurde selbst von den strengsten Kritikern kaum noch angezweifelt und gehörte zu den wahren Aristokraten der Kunst.
Doch Pierre Erard hatte sein As noch im Ärmel. Er trat ganz nah an Clara heran. »Im Dezember«, raunte er ihr geheimnisvoll ins Ohr. »Das Angebot ist noch nicht offiziell, aber es ist so gut wie sicher: Im Dezember werden Sie im Conservatoire gastieren und an Ihrem Erfolg zweifelt
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