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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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niemand.«
    Einen Augenblick lang meinte Clara, der Himmel fiele auf sie herab. Ein Konzert im Conservatoire! »Ist das wahr?«, flüsterte sie und unterdrückte ein Schluchzen. Dabei wusste sie genau, dass sie Pierre Erard vertrauen konnte. Sie ergriff seine Handund drückte sie, ohne sie danach wieder loszulassen. »Mehr kann man sich nicht wünschen, oder?«
    Pierre Erard nickte. Auch er kämpfte um seine Fassung. »Mehr gibt es nicht«, antwortete er mit ungewohnt leiser Stimme.
    Es war wie ein Traum. Als Clara nach Hause zurückkam, zog sie sich gleich in ihr Zimmer zurück und verschloss die Tür. Sie konnte sich nicht vorstellen, mit irgendjemandem über ihre Erschütterung zu sprechen, über ihre Freude und über die Genugtuung, dass sie aus eigener Kraft und durch eigenes Können so weit gekommen war.
    Ein Konzert im Conservatoire! Bei ihrem ersten Aufenthalt in Paris hatte der Ausbruch der Cholera den Triumph des Wunderkindes Clara Wieck verhindert. Nun schenkte ihr das Schicksal zum zweiten Mal die große Chance. Das begabte kleine Mädchen aus Sachsen war keine Eintagsfliege gewesen, die man nur sehen wollte, weil ihr Auftreten so spektakulär und ihr Können ihrem Alter nicht angemessen war. Clara Wieck war keine Sternschnuppe, die ein flüchtiges Aufsehen erregte und danach für immer verglühte. Nein, Clara Wieck zählte heute nicht weniger als damals. Sie war eine feste Größe im Konzertsaal und bald würde sie den Olymp erreicht haben.
    Ein Konzert im Conservatoire! Den ganzen Sommer lang und auch noch im Herbst würde sie Zeit haben, sich darauf vorzubereiten: ihr Programm sorgfältig auswählen, üben und – ja, ja, auch das wollte sie nun wieder! – sogar eine eigene Komposition schaffen, die sie dem Pariser Publikum an ihrem goldenen Abend vorstellen konnte. Ein Geschenk an diese Stadt, in der man sie diesmal so großzügig aufgenommen hatte: das junge Mädchen aus Leipzig, das sich ganz allein in die Welt hinausgewagt hatte und nun im strahlenden Paris seine Anerkennung fand.
    Keinen Moment lang zweifelte Clara daran, dass das bevorstehende Konzert das werden würde, was Friedrich Wieck als Triumph zu bezeichnen pflegte. Friedrich Wieck – ihr Vater, der eigentlich dabei sein sollte, wenn sie die oberste Sprosse der Erfolgsleiter erklomm. Friedrich Wieck – ob er ihr nun endlichverzeihen würde? Ganz sicher wusste er Bescheid darüber, dass sich sein kleiner Russe wieder einmal durchgebissen hatte, und es konnte nicht sein, dass er ihr den Erfolg nicht von Herzen gönnte. Es durfte nicht sein!
    »Lieber Papa!«, fing sie im Geiste an, einen Brief an ihn zu schreiben, endlich wieder nach der langen Zeit. »Lieber Papa!«, damit er jetzt auch von ihr selbst erfuhr, wie es ihr ging, und dass ihr in diesem Augenblick – ja, gerade jetzt! – wieder Musik durch den Kopf schoss. Ihr neues Klavierstück, nach dem sie so lange gesucht hatte und das ihr bisher nicht einfallen wollte. As-Dur!, dachte sie. Zu Beginn langsam und friedlich wie die Abende an der Seine in Bougival, wo sie mit Emilie und Henriette die Sommermonate verbringen würde. As-Dur ... Und danach ein Walzer im Stil von Chopin, f-Moll vielleicht? Eine Idylle, wie das Leben und die Landschaft fern vom Zentrum der Metropole.
    Oh, wie es auf einmal wieder in ihr sang! Wie plötzlich alles wieder da war, worauf sie so lange vergeblich gewartet hatte! Nein, sie hatte ihre Musik nicht verloren während dieser rastlosen Tage auf der Jagd nach Anerkennung und nach dem Überleben als Pianistin. Noch immer war sie die Clara Wieck von einst, die mit ihren Improvisationen die Zuhörer zum Träumen bringen konnte.
    Lieber Papa!, dachte sie noch immer, während sie spielte. Dann sprang sie auf und lief zum Tisch, um tatsächlich den Brief zu schreiben, der erst jetzt seine Berechtigung hatte. Nur eine Nachricht von Bedeutung konnte das Band wieder knüpfen, das so schmerzlich zerrissen war. »Lieber Papa! Es ist erreicht! Im Dezember werde ich im Conservatoire auftreten...«
    Als der Brief beendet war und sie ihn zusammenfaltete, kam ihr ganz flüchtig der Gedanke, sie müsse auch Robert Schumann von ihrem Erfolg berichten. Doch es war schon spät, und morgen wollte sie ganz früh zur Post gehen, um den Brief an ihren Vater aufzugeben.
    Bevor sie einschlief, erinnerte sie sich an einen Traum, den ihr Robert Schumann in seinem letzten Brief erzählt hatte. »Dutrugst ein schwarzes Kleid und auf dem Kopf eine Art Barett«, hatte er geschrieben.

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