Das Maedchen am Klavier
um brennende Feuer kampierte.
Noch immer war keine Ruhe eingekehrt, als Clara bewusst wurde, dass in dieser Nacht kein Dampfwagen mehr nach Bougival fahren würde. Doch sie sorgte sich nicht, sondern suchte sich ein Hotel, um dort – ohne Gepäck – zu übernachten.
Am nächsten Morgen folgte sie wieder dem Lärm des Aufstands. Fasziniert sah sie zu, wie das Volk das Schloss umzingelte und der königlichen Garde zurief, sich auf die Seite der kleinen Leute zu stellen. »Begreift doch endlich, dass ihr zu uns gehört!« Die Soldaten schwiegen verwirrt und erfüllten weiter ihre Pflicht.
Erst gegen Abend kehrte Ruhe ein, als bekannt wurde, dass der König ein Ministerium ernannt hatte, das die Forderungen des Volkes prüfen werde. Die beim Volk beliebten Herzöge von Orleans und Nemours ritten durch die Straßen, um die Menge zu besänftigen. Erschöpft und hungrig gingen die Aufrührer schließlich nach Hause. Unzufrieden wohl auch, da sich ja eigentlich nichts geändert hatte. Auch Clara kehrte wieder nach Bougival zurück, wo Emilie und Henriette schon voller Sorge auf sie warteten.
In einem langen Brief berichtete Clara Robert Schumann von ihrer Begegnung mit der Revolution, die sie zu begreifen versuchte. Als Davidsbündler, der die Freiheit liebte, dachte sie, musste Robert Schumann doch an jeder Einzelheit des Volksaufstands interessiert sein.
Doch noch prompter als sonst traf die Antwort aus Leipzig ein. Robert Schumann war über Claras Leichtsinn nichts als entsetzt. »Wie kannst Du Dich so nahe an die Kämpfe heranwagen!«, schrieb er. »Eine Dame hat bei solchen Vorfällen nichts zu suchen. Wie leicht hätte Dich eine verirrte Kugel treffen können.« Sogar ihre Fahrten mit dem Dampfwagen erweckten seine Sorge. »Ich bitte Dich, Clärchen, sei vorsichtig!«, mahnte er – so aufgeregt, dass seine Schrift kaum noch zu entziffern war. »Sieh nie aus dem Wagen hinaus. Hebe Dich nie in die Höhe und steige nicht eher aus, als bis der Wagen gänzlich still steht.«
Mein lieber, armer Robert!, dachte Clara nachsichtig. Wie schwierig alles für ihn war! Wo sie einfach drauflosmarschierte, hatte er tausend Bedenken. Ihr wurde bewusst, wie oft sie sich verpflichtet gefühlt hatte, ihn zu beschützen. Wahrscheinlich würde es wohl immer so bleiben. Trotzdem sehnte sie sich nach ihm. Jeden Tag hoffte sie auf einen Brief von seiner Hand, auch wenn er gerade geschrieben hatte und eine neue Nachricht noch nicht zu erwarten war. Fast süchtig war sie nach seinen zärtlichen Worten und nach seinem Lob.
Dabei kam es immer öfter vor, dass seine Briefe sie enttäuschten. Voller Begeisterung hatte sie ihm ihre neue Komposition geschickt, und auch wirklich traf umgehend seine Antwort ein. Doch anstatt sie zu ermutigen und zu beglückwünschen, meldete er nur seine Bedenken an. »Für Deine ›Idylle‹ danke ich Dir, meine Herzensclara«, schrieb er, zu Anfang noch halbwegs leserlich. »Dennoch habe ich einiges daran auszusetzen. Vor allem ist ›Idylle‹ nicht der richtige Titel. ›Heimweh‹ würde wohl besser passen oder sogar ›Mädchens Heimweh‹, denn man spürt bei jedem Ton, wie schwer es Dir fällt, fern der Heimat zu leben.«
Clara, die den Brief voller Vorfreude geöffnet hatte, ließ ihn nun zu Boden gleiten. Mädchens Heimweh?, dachte sie gekränkt. So also siehst du mich, du bedeutender Komponist! Was du entwirfst, ist immer großartig; was ich schreibe, ist »Frauenzimmerarbeit«! Mädchens Heimweh! Wie kommst du überhaupt auf den Gedanken, es fiele mir schwer, fern von der Heimat zu leben?Wenn du dich in der Fremde nicht wohl fühlst, heißt das doch noch lange nicht, dass es mir genauso ergeht.
Trotzdem hatte er ihr den Titel verleidet. Eine Nacht lang konnte sie nicht schlafen. Dann stand ein neuer Name fest: »Romanze« und dabei blieb es auch . Das Publikum im Conservatoire würde ihn zu schätzen wissen. »Mädchens Heimweh« – pah!
Doch sie war zu beschäftigt, um ihm lange zu grollen. Meist hatte sie gar nicht die Zeit, ihm sofort zu antworten. Wenn sie dann endlich Muße zum Schreiben fand, war ihr Ärger schon wieder verflogen, und sie erzählte wie ein Kind von den Ereignissen ihres täglichen Lebens. Es schien ihr aber immer öfter, als korrespondierten sie aneinander vorbei. Er verfasste seine Briefe und sie die ihren, doch nur in wenigen Sätzen verflochten sich ihre Gedanken. Von seiner Sehnsucht berichtete er, die ihn Tag und Nacht quäle, und Clara verstand ihn, denn auch sie
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