Das Maedchen am Klavier
sah immer wieder sein Bild vor sich. Manchmal wachte sie nachts auf und war überzeugt, eben noch habe sein Mund auf dem ihren gelegen ... Warum bist du nicht hier, mein Liebster!, dachte sie dann und schrieb es ihm auch immer wieder. In seiner Antwort schilderte er dann seine eigene Sehnsucht, die ihn jedoch – so gestand er – bei seiner Arbeit beflügelte.
»Liebst Du mich oder liebst Du nur die Vorstellung von mir?«, fragte Clara dann. Doch darauf antwortete er nicht.
»Komm doch einfach her zu mir nach Bougival!«, forderte sie ihn danach auf. »Ich lebe hier ganz allein mit meinen beiden Freundinnen. Es gibt keinen strengen Herrn Papa und keine säuerliche Anstandsdame. Versetze Deinem Herzen einen Stoß und besuche mich! Ich hoffe ständig, Du kämst plötzlich, um mich zu überraschen. In jeden Wagen, der vorbeifährt, schaue ich schüchtern hinein und der Gedanke, Dich vielleicht auf einmal zu sehen, macht mich so zittern, dass ich manchmal fast die Besinnung verliere. Doch die Wagen rollen alle an mir vorüber und dann steh ich noch immer allein. Ach Robert, kämst Du doch nur, wie wollt’ ich Dich küssen und liebhaben!«
Wieder wartete sie auf Antwort. Doch Robert Schumann ging mit keinem Wort auf ihr Flehen ein, sondern berichtete stattdessen ausführlich, er habe seine frühere Verlobte Ernestine getroffen, die sich in großer Not befinde. Ihr Gatte sei mit nur fünfundzwanzig Jahren ganz plötzlich verstorben und seine Familie, die die Schwiegertochter immer abgelehnt habe, habe sie des Hauses verwiesen. Auch der Adoptivvater sei nicht mehr bereit, für sie zu sorgen. Er finde, er habe bereits mehr als genug für sie getan. »Das Einzige, was ihr noch geblieben ist, ist ihr Adelstitel. Damit könnte sie sich ein Auskommen als Gouvernante schaffen, hätte sie nur Französisch gelernt. Doch das Einzige, was sie kann, ist Klavierspielen. Außerdem haben sich ihre Schmerzen wieder gemeldet. Sie behauptet noch immer, es sei der Magen, aber ich fange an zu glauben, dass sie an der Schwindsucht leidet.«
Auch diesen Brief ließ Clara zu Boden fallen. Um alle sorgte sich Robert Schumann, nur nicht um sie! »Niemandem würde es auffallen, wenn Du nach Frankfurt reistest«, schlug sie dennoch vor. »Länger als zwei Tage dauert das nicht von Leipzig aus. Nach Paris sind es dann nur noch zwei weitere Tage ... Und schon wären wir vereint und könnten uns ungestört in die Augen schauen und sagen, dass wir einander lieben!«
Als Antwort kam eine lange Abhandlung über den Tod, der so viele Menschen frühzeitig aus dem Leben reiße. Seine gute Freundin Henriette Voigt sei nun mit nur einunddreißig Jahren gestorben und auch sein eigener Bruder habe nicht mehr lange zu leben. »Jedes Jahrhundert hat seine eigene Krankheit«, dozierte er bedrückt. »Das unsere ist mit der Schwindsucht geschlagen. Keiner weiß, wie lange er noch leben darf.«
»Komm endlich zu mir, mein armer Robert!«, beharrte Clara auf ihrem eigenen Thema, aber irgendwie hatte sie die Hoffnung bereits aufgegeben.
Sie jubelte erst wieder, als ein umfangreiches Schreiben von ihrem Vater eintraf, der stolz auf sie war und versicherte, am liebsten wäre er bei ihr, um mitzuerleben, wie ihr Paris zu Füßen lag. »All die wunderbaren Konzerte in den illustren musikalischenPrivatzirkeln!«, schwärmte er. »All die strahlenden Berühmtheiten unserer Zeit, mit denen Du sprichst! Dumas, Berlioz, Auber, Cherubini, Meyerbeer ... So habe ich es mir für Dich gewünscht. So muss es weitergehen. London, St. Petersburg ... Mein Gott, Clara! Die Welt steht Dir offen.«
Und gleich danach der nächste Brief von Robert Schumann: Sein Bruder Eduard sei nun gestorben und habe anstelle des erhofften Erbes nur Schulden hinterlassen. »Mein einziger Trost bist Du, meine Clara. Du und unsere bevorstehende Hochzeit. Ein Mann in meinem Alter muss eine Familie haben, sonst gilt er nichts. Ostern 1840, ein halbes Jahr noch. Ich kann es kaum erwarten. Gleich morgen werde ich mit Deinem Vater sprechen. Dann wird es Zeit, dass Du endlich zurückkommst.«
Auch dieser Brief fiel zu Boden. Clara kam es vor, als fasste ihr eine beinharte Hand an die Kehle. Sie konnte kaum noch atmen und ihre Wangen zerrissen fast vor Schmerz. In ihren Ohren dröhnte ein einziger Satz: Es wird Zeit, dass Du endlich zurückkommst.
Sie trat ans Fenster und blickte hinaus auf die Seine, die ihr so lieb geworden war, als hätte sie immer nur hier gewohnt. Wenn sie aufmerksam lauschte,
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