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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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Eine tüchtige kleine Bürgersfrau sollte sie sein und hatte doch schon den Applaus des Publikums kennengelernt und vor allem die grenzenlose Befriedigung, das Höchstmögliche geleistet zu haben. Die eigene Stimme zu hören als einziges Geräusch in einem großen Saal – himmlisch schön wie ein Frühlingshauch in der Luft. Oder am Klavier zu sitzen und mit dem ganzen Körper und der ganzen Seele in die Musik einzutauchen ... Ein Haushäubchen sollte sie tragen, wo der Himmel sie doch mit einer Gabe beschenkt hatte, dass ihr eine kleine Krone gebührt hätte!
    Und dann diese Stimme: »Marianne!« Nur das und danach eine Hand, die ihr über den Nacken strich – so sachte, dass man es für eine Sinnestäuschung halten konnte. Marianne. Noch nie hatte sie ihren Namen in dieser Weise vernommen. Wie ein Gebrauchsgegenstand war er bisher gewesen. Wie ein Schild, auf dem sie als Person benannt wurde, damit man sie von anderen unterscheiden konnte. Marianne!, rief man nach ihr. Marianne!, tadelte man sie. Marianne, sagte man im Ablauf des Tages immer wieder gleichmütig zu ihr. Doch jetzt auf einmal so zärtlich undleise: »Marianne!« Nie hatte sie einen schöneren Namen gehört. Nie hatte ihr Herz lauter gepocht. Nie hatte sie sich so ohne jede Vernunft einfach fallen lassen.
    »Ehebruch also!«, hatte Friedrich Wieck mit einer nie zuvor gehörten, ruhig-kalten Stimme festgestellt, nachdem ihm Marianne ihren Fehltritt und dessen bevorstehende Folgen gestanden hatte. »Madame Wieck spendet dem verkrachten Künstler Bargiel ein Glückchen!« Er blickte Marianne aus schmalen Augen an. »So nennt unser Möchtegern-Casanova nämlich seine Eroberungen. Glückchen. Im Laufe der Jahre sind es schon ziemlich viele geworden.«
    Sie waren in einen Seitenweg eingebogen, um den anderen Spaziergängern kein Schauspiel zu bieten. Zumindest darin waren sie sich einig. Marianne versuchte sich zu rechtfertigen und zu erklären, was keiner Erklärung bedurfte. Doch Friedrich Wieck hörte ihr nicht mehr zu. »Ein falscher Freund!«, sagte er mit seiner neuen Stimme. »Wie konnte ich ihm nur trauen! Ich hätte wissen müssen, dass an diesem Menschen alles falsch ist. Sogar der Name, hast du das gewusst?« Er lachte auf, unfroh, verbittert. »Adolph Bargiel nennt er sich, weil das romantischer klingt als sein wirklicher Name: Anastasius Bargel!« Es hörte sich an, als spucke Friedrich jedes Wort einzeln aus. »Anastasius Bargel! An einem unserer elenden Abende als Hauslehrer unterhielten wir uns darüber, wie entscheidend der richtige Name für die Karriere eines Künstlers sein kann. Wir fragten uns, ob ein Musiker mit dem Namen Bargel überhaupt die Begeisterung des Publikums erwecken könne. Genau das war nämlich der Herzenswunsch unseres begabten Freundes: alle mitzureißen und die Welt zu erobern, vor allem deren weiblichen Teil.«
    Marianne packte ihren Gatten am Arm. »Hör bitte auf, Friedrich!«, flehte sie. »Wir müssen reden, ernsthaft reden. Wie sollen wir sonst mit unserem Unglück fertig werden?«
    Doch Friedrich Wieck schüttelte sie ab. »Unser Unglück?«, fragte er. »Doch wohl nicht meines. Ich habe weder die Ehe gebrochennoch einen Bastard gezeugt.« In seinen Augen stand nur noch Ablehnung. »Wie wird es sich wohl anfühlen, eine Frau Bargel zu sein? Klingt ein wenig nach Käse, nicht wahr?«
    Erst jetzt merkte Marianne, dass ihr Weg sie aus Gewohnheit in die Nähe der Eiche geführt hatte, in deren Rinde sie einst ihre Initialen geritzt hatten.
    Friedrich Wieck allerdings schien daran nicht zu denken. »Ich werde mich von dir scheiden lassen«, sagte er, ohne sie anzusehen. »Schon morgen wirst du zu deinen Eltern zurückkehren. Wir werden den Schein wahren und deine Fahrt mit einer Krankheit deiner Mutter begründen. Die Kinder bleiben selbstverständlich bei mir.«
    Marianne schrie auf. »Das kannst du nicht von mir verlangen! Es sind meine Kinder. Ich habe sie geboren.« Noch immer hoffte sie, Friedrich Wieck zu einer gütlichen Einigung veranlassen zu können. Sie wusste nur selbst nicht, ob eine solche Einigung überhaupt möglich war.
    Friedrich Wieck schwieg lange. »Nun gut«, murmelte er dann. »Man würde es nicht verstehen, wenn du deine kleine Tochter im Stich ließest. Vielleicht ist es leichtsinnig von mir, dir noch in irgendeiner Weise zu vertrauen. Trotzdem werde ich dir das Kind für die Monate bis zu seinem fünften Geburtstag mitgeben. Wenn du nicht mehr da bist, muss der Haushalt neu geordnet

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