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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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Beethoven verlangten, würde er sie zu Cramer-Etüden verdonnern und zu Czerny-Trillerübungen. »Mozart würde es ihnen verzeihen, dass sie noch keine Virtuosen sind!«, rief Marianne im Geiste ihrem Gatten zu. »Sollen denn nur Meister die Werke von Meistern spielen dürfen?«
    Sie lief im Zimmer auf und ab. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie unerträglich es für sie sein würde, das alte Leben wieder aufzunehmen. Sie stieß mit dem Fuß gegen den zerknüllten Brief und stampfte darauf herum. Erst nach einer Weile sank sie erschöpft auf einen Stuhl und weinte leise vor sich hin.
    In ihrer Verzweiflung merkte sie nicht, dass sich die Tür geöffnet hatte und Adolph Bargiel eingetreten war. Er zögerte erst, dann kam er näher. Er fragte nicht, warum sie so traurig sei. Er wusste es längst. Ihm war, als hätte er diese Situation bereits erlebt. In den langen Nachtstunden in seiner kalten Kammer hatte er es sich immer wieder vorgestellt: Marianne, die ihr Schicksal beweinte. Marianne, die Trost brauchte, und er, der ihr diesen Trost zu spenden vermochte.
    Es darf nicht sein!, hatte er dann gedacht und versucht, die Sehnsuchtsbilder auszulöschen. Friedrich ist mein Freund. Jede andere, nur nicht Marianne!
    Doch jetzt saß sie vor ihm, genau so wie in seinen verbotenenTräumen. Der Unterricht war längst zu Ende. Alwin und Gustav spielten in der warmen Küche, und die Dienstboten waren beschäftigt. Die Welt da draußen, jenseits dieses Zimmers, war plötzlich unerhört fern. Weit weg die Menschen und ihre Konventionen, ihre Tabus und ihre Strafen. Nur Marianne war noch da und er selbst, Adolph Bargiel, der einst so viel erreichen wollte und doch ein armer Schlucker geblieben war. Ein Singvogel in der Welt der Tüchtigen und Bodenständigen. Einer, der die Menschheit nicht voranbrachte. Er zerstörte nichts und baute nichts auf. Weder kaufte noch verkaufte er. Er verwaltete keinen Besitz und keine Schicksale von Menschen. Er sang nur gern und entlockte seinen Instrumenten die bezauberndsten Melodien. Er wusste, was Zärtlichkeit war und wie sehnsuchtsvoll selbst jene nach ihr verlangten, die im Alltag achselzuckend über seine unbedeutende Gegenwart hinweggingen.
    »Marianne!«, sagte er leise, obwohl er wusste, dass selbst das schon zu viel war.

Das Geschenk der Sprache
1
    Lange Zeit merkte in Leipzig niemand, dass im Hause Wieck die Welt zusammengebrochen war. Man wunderte sich nur, dass die junge Frau des »schrecklich tüchtigen Wieck« Hals über Kopf zu ihren Eltern nach Plauen gereist war. Die kleine Clara hatte sie mitgenommen, während die beiden Knaben zu einer Madame in Pension gegeben wurden – nur vorübergehend, wie es hieß. Marianne Wiecks Mutter sei schwer erkrankt, und die Tochter werde in Plauen noch dringender gebraucht als in Leipzig, erklärte Friedrich Wieck jedem, der es hören wollte. Man schüttelte heimlich den Kopf über dieses Arrangement, hatte aber keinen Grund, es anzuzweifeln. Marianne Wiecks Ruf war ohne Tadel, wurde allgemein festgestellt. Während der langen Abwesenheit ihres Gatten hatte sie in vorbildlicher Weise seine Verpflichtungen übernommen, und als er zurückkehrte, hatte sie ihm ohne Murren wieder Platz gemacht, wie es sich für eine Ehefrau gehörte.
    Auch die Dienstboten wussten nichts Nachteiliges zu berichten. Einzig Johanna Strobel verweigerte jeden Kommentar. Nur sie hatte beobachtet, wie am Nachmittag vor Mariannes Abreise das Ehepaar zu seinem üblichen zweistündigen Spaziergang aufgebrochen war. Ganz ruhig wie immer. Als die beiden jedoch zurückkehrten, gab es kein Wort mehr zwischen ihnen.
    Marianne packte drei große Koffer und nahm fast alle ihre eigenen Sachen mit sowie auch Claras Übergangs- und Sommerkleidung und ihre Noten. Am meisten aber beunruhigte es dieHaushälterin, dass Marianne in der folgenden Nacht nicht in der ehelichen Kammer schlief, sondern sich zu Clara ins Bett legte. Um vier Uhr morgens stand sie schon wieder auf, zog sich selbst und danach Clara an, gab dem Kind in der Küche noch ein Stück Brot und einen Apfel für das Reisekörbchen und ging dann ins Zimmer der Knaben, die noch schliefen. Johanna Strobel sah von der Türe aus, dass Marianne vor unterdrücktem Schluchzen bebte und dass sie sich kaum vom Anblick ihrer kleinen Söhne losreißen konnte.
    »Wollen Sie nicht lieber bei uns bleiben, gnädige Frau?«, drängte Johanna Strobel. »Vielleicht könnte sich jemand anderes um Ihre Frau Mutter kümmern. Die Kinder brauchen Sie

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