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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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doch auch!«
    Marianne aber schüttelte nur wortlos den Kopf und verließ den Raum, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Vor dem Haus wartete bereits der Diener August mit einem kleinen Leiterwagen, auf den er die Koffer gepackt hatte. Es war noch dunkel und sehr kalt. Erst jetzt schien Clara zu begreifen, dass dies kein Tag war wie jeder andere. Sie versuchte, sich aus dem Griff ihrer Mutter zu befreien und wollte zurück ins Haus. Marianne aber hielt sie fest. »Wir müssen zur Postkutsche, Clärchen«, sagte sie beschwörend. »Es ist schon spät. Komm doch! Keine Sorge, du wirst schon bald wieder hier sein.«
    Doch Clara wehrte sich. Fast unter Zwang musste sie weitergezerrt werden und fiel dabei beinahe hin. Erst da öffnete sich noch einmal das Haustor, und Friedrich Wieck trat heraus. »Komm, meine kleine Clara«, sagte er so sanft und zärtlich, wie man es kaum je von ihm gehört hatte. »Du fährst nur auf Besuch zu deinen Großeltern. Wenn der Sommer vorbei ist, kommst du wieder zurück. Deinen fünften Geburtstag feierst du hier bei mir, und danach werden wir uns nie mehr trennen.« Behutsam hob er sie hoch und trug sie auf dem Arm bis zur Poststelle, wo bereits reges Treiben herrschte. Er wartete, bis Mariannes Koffer aufgepackt waren, und steckte dem Kutscher noch ein paar Münzen zu, damit er auf der Reise die beiden Damen mit besonderer Zuvorkommenheitbehandelte. Danach blies der Postillion in sein Horn: vier Takte seines Signals, das den Reisenden und den Anwohnern die bevorstehende Abfahrt ankündigte. Das Signal sollte frisch und keck klingen, doch es kam bloß eine Art Gewinsel zustande, dass nur zu hoffen war, der Postillion könne besser lenken als musizieren.
    Die Türen wurden geschlossen und die Treppchen hochgeklappt. Dann setzte sich der Postillion aufs Sattelpferd und ließ die Peitsche schnalzen. Langsam und ruckweise setzte sich die Kutsche in Bewegung. Hinter der Scheibe sah Friedrich Wieck das Gesicht seiner Tochter, blass und flehend. Er hob die Hand zum Abschied und senkte sie nicht mehr, bis die Kutsche um die Ecke verschwunden war. Als er zum Haus zurückging, merkte er, dass ihm Clara ihren Reiseapfel in die Manteltasche gesteckt hatte. Er umschloss ihn fest mit seiner Hand und nahm sich vor, ihn aufzubewahren, bis seine Tochter wieder zurück war.
    Da die Fahrt nicht vorbestellt war, reisten Marianne und Clara nicht in einer gewöhnlichen Postkutsche, sondern in einer Diligence, einer Riesenkutsche für vierzehn Personen, die viel teurer war. Noch an der Poststelle hatte sich Friedrich Wieck bemüht, für Mutter und Tochter einfache Plätze im Hauptabteil zu buchen, doch dort war nichts mehr frei gewesen. So musste er die besten, aber auch kostspieligsten Plätze vorne im Coupé belegen – ein Luxus, den er Marianne eigentlich nicht gönnte, für Clara aber bereitwillig bezahlte.
    Im Coupé rüttelte es weniger, und man hatte größere Bewegungsfreiheit. Trotzdem war die Fahrt immer noch äußerst beschwerlich. Schon in der Stadt rumpelte das Gefährt bedrohlich über die kantigen Pflastersteine. Draußen auf der Landstraße aber wurden die Fahrgäste regelrecht durchgeschüttelt. Die elegante Diligence mit ihrem Postillion in feiner Montur holperte durch Schlaglöcher und Rillen, dass schon nach einer halben Stunde einem Herrn schlecht wurde und eine Dame in Tränen ausbrach und verlangte, umgehend in die Stadt zurückgebrachtzu werden. Doch solche Wünsche blieben unerfüllt. Wer sich auf die Reise eingelassen hatte, musste sie bis zum Ende durchstehen.
    Allmählich dämmerte der Morgen. Marianne hatte gehofft, sie und Clara könnten während der Fahrt noch ein wenig Schlaf nachholen, doch der nachwinterliche Zustand der Straßen machte dies unmöglich. So legte Marianne ihren Arm um das kleine Mädchen und zog es an sich. Was habe ich euch Kindern nur angetan!, dachte sie. Nie werde ich mir das verzeihen können.
    Nun, da sie wusste, welches Unglück ihr Leichtsinn über die ganze Familie gebracht hatte, hätte sie das unselige Ereignis am liebsten ganz aus ihrem Gedächtnis verbannt. Wie trüb das Licht an jenem winterlichen Spätnachmittag gewesen war! Unwirklich und beklemmend. Und wie niedergeschlagen sie sich gefühlt hatte! Eine junge Frau, die begriff, dass sie in eine Falle geraten war. Ein Leben in Wohlstand zwar, um das viele sie beneideten. Doch auch ein Leben, in dem das eigene Talent – von Gott geschenkt und als Verpflichtung auferlegt – erstickt werden sollte.

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